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Pfadis mischen mit – auch in der Politik

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Im Runden Raum diskutieren Bundestagskandidaten mit Bula-Teilnehmenden

Null Bock auf Politik? Ach was. Politisches Desinteresse gibt’s nicht bei uns Pfadfinderinnen und Pfadfindern, erst recht nicht im Bundeslager und schon gar nicht so kurz vor der Bundestagswahl. Ganz im Gegenteil: Die Jurten des Runden Raums platzten am Freitagnachmittag (28.7.) aus allen Nähten, als dort die Brandenburger Kandidatinnen und Kandidaten für den Bundestag zwei Stunden lang mit den Bula-Teilnehmenden debattierten. Zu Gast: die Bundestagsabgeordneten Uwe Feiler von der CDU, Dagmar Ziegler von der SPD und Kirsten Tackmann von den Linken sowie Eric Vohn von der FDP und Martin Wandrey von Bündnis 90/Die Grünen, die erstmals für das Parlament kandidieren. Julia vom Stamm Robin Hood moderierte die Diskussion – und befragte die Politikerinnen und Politiker zu den Themen Ernährung, Europa und Bildung sowie zu den Gründen für ihr parteipolitisches Engagement.

„Leidenschaftlicher Fleischesser“ oder „Flexitarier“?

Ist das, was wir essen (und was wir nicht essen), reine Privatsache – oder doch eine politische Entscheidung? Mit dieser Frage läutete Julia die Debatte ein. Der CDU-Politiker Feiler outete sich sofort als „leidenschaftlicher Fleischesser“, der zuhause aber selten Fleisch kriegt. Er hält es für wichtig, sich ausgewogen zu ernähren und Lebensmittel bezahlbar zu halten. Für ihn ist Essen im Übrigen keine politische, sondern eine persönliche Entscheidung.

Seine Bundestagskollegin Ziegler (SPD) nennt sich eine „Flexitarierin“: Sie isst selten und bewusst Fleisch, möglichst teures, möglichst aus der Region. Sie habe zum Beispiel einen Bauern in ihrem Wahlkreis, der niemanden in der Gastronomie findet, der jede Woche drei ganze Schweine abnehmen will – alle wollten nur 100 Schweinefilets, und das gehe eben nicht. Wenn gerade Arbeitslosengeld ausgezahlt worden sei, so Ziegler, dann sei McDonalds meistens voll. Sie plädiert dafür, nicht so oft Fleisch zu essen und lobt die „Aktion Pausenbrot“ des Brandenburger Landwirtschaftsministeriums, um Kinder zum Schulanfang mit einem gesunden Snack zu versorgen.

Für Tackmann von der Linken ist das Private immer politisch, dazu gehört für sie auch die Ernährung. Sie esse Fleisch, aber deutlich weniger als früher – auch, weil sie die Probleme sehe, die durch unseren Konsum entstehen: etwa mehr Klimawandel, weil die Steaks ganz aus Brasilien hierher kommen. Vom jetzigen System der Fleischproduktion profitieren laut Tackmann insbesondere die hiesigen Supermarktketten, die deshalb wenig Anreiz hätten, etwas daran zu ändern.

Wandrey von den Grünen will bei der Massentierhaltung den „Einstieg in den Ausstieg“, am liebsten aber nicht mit der Brechstange durchgesetzt, sondern durch mehr Macht für die Verbraucher. Er plädiert etwa für ein Kennzeichnungssystem, das die Haltungsbedingungen der Tiere transparent macht – ähnlich wie es das für Eier bereits gibt. In Betriebskantinen und in Kitas sollte es aus seiner Sicht immer ein vegetarisches Essen im Angebot geben. Gut findet er das Grünen-Plakat mit Spitzenkandidat Cem Özdemir mit der Botschaft „Zwischen Umwelt und Wirtschaft gehört kein oder“.

Der Großvater von FDP-Kandidat Vohn ist Bio-Bauer, er persönlich hält auch nichts von der Massentierhaltung – und findet es deshalb prinzipiell richtig, diese mittel- bis langfristig zu verbieten. Aber auch Vohn meint – wie sein CDU-Kollege Feiler –, dass Essen nicht zu teuer werden darf.

 

Für Europa, klar – nur: Wie soll es aussehen?

Mehr oder weniger EU? Das ist hier die Frage. Die auch Julia stellte, angesichts der aktuellen Identitätskrise der Europäischen Union. Dass das Beispiel Brexit – der bevorstehenden britische Austritt aus der EU – Schule macht, will keiner der Brandenburger Bundestagskandidatinnen und -kandidaten. Alle wollen die EU erhalten und sie fit machen für die Zukunft. Aber wie bloß? Als der CDU-Abgeordnete Feiler fragt „Wollen wir die Vereinigten Staaten von Europa?“, da rufen mehrere Pfadis im Publikum „Ja!“. Doch Feiler selbst meint, die EU sollte nur die Dinge regeln, die sie besser regeln kann als die Mitgliedsstaaten – wie die Sicherung der Außengrenzen und eine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Er verteidigte die Politik der Bundesregierung in der Euro-Krise: Länder wie Griechenland, so Feiler, müssten mehr Eigenverantwortung übernehmen und Strukturreformen anpacken.

Einen anderen Umgang mit den südeuropäischen Schuldenländern fordert dagegen Tackmann von der Linken, man müsse die Armut dort konsequent bekämpfen – sonst gehe der europäische Gedanke an den Menschen vorbei. Die EU müsse sich vielmehr so verändern, dass sie für die Menschen da ist – und nicht für die Konzerne.

Ziegler von der SPD will mehr Entscheidungen auf die europäische Ebene verlagern, etwa in der Steuer- und Finanzpolitik, und insbesondere das EU-Parlament stärken. „Es braucht mehr Europa, um etwa gemeinsam gegen Steuerhinterziehung vorzugehen.“ Die EU müsse aber auch besser vermitteln, was sie für den Einzelnen an Positivem leiste.

Strikt gegen eine „Verantwortungsgemeinschaft“ argumentiert der FDP-Kandidat Vohn: Deutschland dürfe nicht die Schulden anderer Länder übernehmen, sonst kriege man sowas wie den Brexit auch anderswo. Die EU dürfe nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden, andernfalls liege die Zustimmung für die Alternative für Deutschland (AfD) schnell wieder bei 15, 20 oder 30 Prozent fürchtet er.

Wer die Nationalstaaten in der EU stärke, stärke letztlich die sowieso schon starken Staaten im Europäischen Rat, meint der Grünen-Politiker Wandrey – so wie Deutschland die Sparpolitik in Griechenland durchgesetzt habe.

 

Eine andere Bildungspolitik, logo – aber mit welchen Ideen?

Weniger ist mehr: Das ist das Motto des CDU-Manns Feiler – jedenfalls wenn es um Schulreformen geht. Dies ist das nächste Thema, das Moderatorin Julia in der Diskussion anschneidet. In deutschlandweiten Bildungstests würden die Schülerinnen und Schüler aus Bayern und Sachsen regelmäßig überdurchschnittlich gut abschneiden, sagt Feiler; die Schulsysteme seien dort zwar unterschiedlich, gemeinsam sei den beiden Ländern jedoch, dass sie eben nicht alle naselang irgendwelche Novellen in der Bildungspolitik ausprobierten – anders als etwa Brandenburg.

Feilers Bundestagskollegin Ziegler von der SPD spricht von einem „Menschenrecht auf Bildung“, will statt immer mehr Klein-Klein den „großen Wurf“: insbesondere viel mehr Mitspracherecht für den Bund in der Bildung. Sie wünscht sich etwa ein bundesweites Zentralabitur, in allen Bundesländern gleiche Schulbücher und gleiche Voraussetzungen für die Lehrerausbildung. „Es ist fünf vor zwölf“, meint Ziegler, denn Deutschland sei längst nicht mehr vorn in der Bildung, sondern liege nur noch im europäischen Mittelfeld. In Finnland etwa hätten Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer ein höheres gesellschaftliches Ansehen als in Deutschland.

Tackmann von der Linken ist gegen „Bulimie-Lernen“, wie es ihre Tochter mal genannt hat: Lehrstoff in sich reinfressen und dann auf Kommando wieder auskotzen. Stattdessen will sie Wissen fürs Leben, nicht nur fürs Zeugnis fördern. Ihre Partei setzt sich für kostenfreie Bildung ein, von der Kita über die Schule (inkl. allen Schulmaterialien) bis zur Uni; die Linke will außerdem mehr Berufe in die öffentliche Ausbildung bringen. „Bildung schützt heute nicht mehr vor Armut“, meint Tackmann.

Politik-Neuling Wandrey von den Grünen strebt gemeinsames Lernen bis zur neunten Klasse an, denn je früher man Schüler trenne, desto stärker beeinflusse der soziale Status der Eltern, wer es auf welchen Schulzweig schafft. „Die Kinder sollten lieber so lange wie möglich gemeinsam lernen und sich selbst entscheiden, welchen weiteren Bildungsweg sie einschlagen wollen.“ In Bayern machten zum Beispiel vergleichsweise wenig Arbeiterkinder Abitur; besser als Elitenförderung sei eine möglichst breite Bildung für alle.

Kandidat Vohn von der FDP hat prinzipiell nichts gegen gemeinsames Lernen sogar bis zur 10. Klasse, will aber früh die individuellen Stärken der Schülerinnen und Schüler fördern – weil ihn die „Gleichmacherei“ stört. Die Jungen Liberalen plädieren außerdem für ein elternunabhängiges Bafög und für ein Stipendiensystem, das außerschulisches Engagement und Talente unterstützt.

 

In die Politik gehen, okay – aber warum eigentlich?

Daum geht’s am Ende der Debatte im Runden Raum. Der CDU-Politiker Feiler erzählt, er sei irgendwann „so verrückt“ gewesen, selbst für den Bundestag zu kandidieren: weil er Dinge verändern will und weil er Spaß daran hat, Menschen zu treffen und Neues zu lernen.

Die SPD-Frau Ziegler regte sich früher über einen Bürgermeister in ihrer Stadt auf, der einst bei der Stasi war (die Staatssicherheit der DDR war ein Geheimdienst, der seine eigenen Bürger bespitzelte); sie merkte damals, „wenn ich noch in den Spiegel schauen will, dann muss ich selbst politisch aktiv werden“ und dies nicht anderen überlassen.

Die Linken-Abgeordnete Tackmann wollte ungerechte Verhältnisse ändern, sich für den Frieden stark machen und die Natur respektieren.

Ihr grüner Kollege Wandrey kandidiert für den Bundestag, weil er sich für den Umweltschutz und für eine bessere Welt engagieren will – und weil er in der Partei und der Politik interessante Leute trifft.

FDP-Mann Vohn war als Jugendlicher zwei Mal schwer krank – und entschied sich nach dem ersten Mal, in der Schülervertretung mitzuarbeiten, und nach dem zweiten Mal, was Großes verändern zu wollen und deshalb in die Politik zu gehen.

 

Hauptsache: sich engagieren – ganz gleich, wo und wie!

Alle Politikerinnen und Politiker lobten das ehrenamtliche Engagement der Pfadis als vorbildlich – und einige filmten mit ihren Handys sogar, als die Anwesenden im Runden Raum zwischendurch „Die Lappen hoch“ schmetterten. Während der Debatte schienen die Sympathien des Publikums – gemessen am Applaus – stärker bei den Vertreterinnen von SPD und Linken und dem Vertreter der Grünen zu liegen und weniger bei den beiden Politikern von CDU und FDP. Doch am Ende bekamen natürlich alle Bundestagskandidaten einen Riesen-Applaus: weil sie sich die Zeit genommen haben, nach Großzerlang zu kommen und mit den Pfadis zu diskutieren.

 

Autorin: Stephanie Pieper (Team Öffentlichkeitsarbeit BdP Bundeslager Estonteco)

Fotos: Jan Wicke

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