"Danke für Deutsch Menschen" - Am dritten Tag haben wir als Dankeschön Rosen geschenkt bekommen.
Flucht & Asyl

Warum Freital?

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Stamm Weiße Rose, Dortmund
LV Nordrhein-Westfalen

„Say it loud, say it clear Refugees are welcome here!“

Freital ist eine Große Kreisstadt in der Mitte des Freistaates Sachsen, etwa neun Kilometer südwestlich vom Zentrum der Landeshauptstadt und angrenzend an Dresden.

Bis zum 22. Juni 2015 kannte wohl kaum jemand diese Stadt geschweige denn hatte jemals diesen Namen gehört. Ich bin vor einem Jahr nach Dresden zum Studieren gezogen. Schon einige Monate vor dem 22.Juni gründete sich die Initiative „Nein zum Heim“ in Freital. Jeden Freitag sammelte sich ein Haufen Nazis und sogenannte besorgte Bürger und zogen demonstrierend durch Freital. Auf der anderen Seite gründete sich die Organisation „Weltoffenheit und Toleranz Freital und Umgebung“ und rief zum Gegenprotest auf. Auch ich fuhr wenige male mit Seifenblasen und Trillerpfeife bewaffnet nach Freital. Doch niemand von uns wollte den Ernst der Lage sehen.

Am Abend des 22. Junis zogen die ersten geflüchteten Menschen ins ehemalige Leonardo Hotel ein, was nun Erstaufnahme Einrichtung wurde. Die Busse wurden von 50-70 betrunkenen, pöbelnden Nazis mit Böllern, Steinen und Rufen wie „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ begrüßt. Nur wenige antirassistische Menschen fanden sich ein um die Geflüchteten zu begrüßen und zu schützen.

Wir müssen da hin, nicht dass es mal später heißt: Wo warst du als es damals in Freital eskalierte?

Den ganzen Abend über gab es Krawalle, es war kaum Polizei vor Ort. Ich verfolgte das ganze Geschehen über Twitter und ärgerte mich, dass ich zu spät davon gelesen hatte. Am nächsten Tag war ich im Praktikum und konnte mich den ganzen Tag nicht auf meine Arbeit konzentrieren, ich verfolgte die Geschehnisse in Freital über Twitter und verständigte mich mit einem Freund, dass wir am frühen Abend gemeinsam hinfahren wollten. Ein Satz der mir im Kopf geblieben ist war: „Wir müssen da hin, nicht dass es mal später heißt: Wo warst du als es damals in Freital eskalierte?“ – es wurde auch von Pogromstimmung gesprochen. Beim Praktikum durfte ich zum Glück früher gehen, auf dem nach Hause weg versuchte ich Freunde zu motivieren mit zu kommen. In Freital waren an diesem Dienstag schon deutlich mehr Asylbefürworter*innen. Die Stimmung war sehr gut, schnell traf ich Menschen die ich kannte. Besonders an dem Abend fand ich, dass viele der Geflüchteten die im Leonardo untergekommen waren, raus zu uns auf die Straße kamen und sich unter uns mischten. Zu oft habe ich mitbekommen, dass es Demos und Aktionen für Geflüchtete gab, bei denen es keinen Kontakt oder Zusammenspiel gab. Ganz anders also in Freital, schnell entstanden die ersten Gesprächsrunden, nur ein paar Meter weiter hinter einer kleinen Polizeisperre, versammelten sich die Nazis Freitals, sie hatten für die komplette Woche Demos vorm Leonardo angekündigt. Laut Versammlungsauflagen, darf bei Demonstrationen kein Alkohol konsumiert werden und es herrscht ein Glasflaschen Verbot, warum die sogenannte „Bürgerwehr Freital 360“ Bier aus Glasflaschen trinken durfte bleibt also für uns ein Rätsel.

Ob groß oder klein, alle lieben Seifenblasen.
Ob groß oder klein, alle lieben Seifenblasen.

Wir wollten uns viel lieber mit den geflüchteten Menschen unterhalten

Gegen 21 Uhr wurden die Rufe der Nazis lauter und aggressiver, auch wir stellten uns auf und antworteten mit unseren Rufen etwa 10 Minuten lang, dann beschlossen wir, dass es nicht das ist was wir wollen. Wir wollten die Stimmung nicht aufheizen und wir wollten uns viel lieber mit den geflüchteten Menschen unterhalten als mit Nazis anzubrüllen. Also zogen wir uns zurück und ignorierten die Nazis. Nachts wurde eine gemeinsame Abreise nach Dresden organisiert und eine Spontandemo zum Bahnhof angemeldet, damit die Polizei uns Geleitschutz gab. Der Weg zum Bahnhof verlief leider nicht ohne Zwischenfälle, auch Nazis können Fahrpläne lesen und wussten natürlich genau wann der letzte Zug nach Dresden fährt und erwarteten uns an beiden Bahnhöfen in Freital. An diesem Abend war die Polizei aber ganz auf unserer Seite und geleitet uns sicher bis in den Zug. Trotzdem fuhren wir mit einem mulmigen Gefühl nach Hause und verabredeten uns direkt für den nächsten Tag.

Ein paar der Freunde die ich in Freital kennen gelernt habe, aus Dresden und Aleppo (Syrien)
Ein paar der Freunde die ich in Freital kennen gelernt habe, aus Dresden und Aleppo (Syrien)

Ich fuhr eine Woche lang jeden Tag nach der Arbeit nach Freital, und verbrachte dort mindestens acht Stunden pro Abend. Die darauf folgenden Wochen fuhr ich alle zwei bis drei Tage hin, bis es schließlich durch Prüfungen und Semesterferien ganz abnahm. Aber noch heute habe ich eine starke Verbindung zu dem Ort, und fahre immer mal wieder vorbei.

Doch warum gerade Freital und warum fuhr ich da immer wieder hin und tat mir den Stress an?

Es ging um die Menschen! Natürlich war es super stressig nach der Arbeit, freiwillig weiter zu arbeiten, doch der Stress war es wert. Ich habe in dieser Zeit tiefe Freundschaften geschlossen. Viele Menschen bedankten sich bei uns für unsere Anwesenheit und unsere Art, sowohl Deutsche als auch Geflüchtete. An einem Tag habe ich von zwei Kindern unabhängig voneinander Geschenke bekommen an einem anderen Tag haben wir Rosen mit einem Zettel drauf Geschenkt bekommen auf dem „Danke Deutschland“ stand. Tamim ein acht jähriger Junge aus Syrien wurde ein guter Freund und immer wenn ich kam wurde ich mit einer dicken Umarmung und Teilweise einem Küsschen begrüßt, immer wenn ich mal nicht konnte Fragte er bei meinen Freunden in Dauerschleife nach mir. Solche Momente machten mich überglücklich.

An einem Tag kam eine Dresdener Band „Banda Comunale“ und spiele ein Konzert auf der Straße

Immer wieder brachten wir neue Sachen und Ideen mit, von Kreide, Konfetti, Seifenblasen über Uno bis hin zu Gitarren und Kachon. Es war uns wichtig eine tolle gemeinsame Zeit zu haben. Es entstand eine Volksfeststimmung. An einem Tag bildeten sich drei riesen große Kreise in denen Uno mit verschärften Regeln gespielt wurde und die Kinder mit denen wir keine gemeinsame Sprache hatten, waren super schnell darin die Regeln zu verstehen und am besten im Schummeln. Daneben spielten andere Freesbe oder Volleyball. An einem Tag kam eine Dresdener Band „Banda Comunale“ und spiele ein Konzert auf der Straße. Wir ignorierten die sogenannte „Bürgerwehr Freital 360“, diese ärgerten sich darüber, betranken sich und verprügelten sich aus Langeweile teilweise gegenseitig. Am Freitag kam die „Antilopen Geng“ nach Freital und spielte ein Konzert, durch die Popularität der Band kamen viele Menschen aus ganz Sachsen und auch Berlin. Natürlich waren wir froh in Freital mal so viele Menschen gegen Rassismus und für geflüchtete Menschen zu sein, doch störte uns, die wir doch schon seit Tagen jeden Abend dort hinfuhren der Demotourismus und die Menschen die nur für die Band gekommen sind. An diesem Tag standen viele Menschen direkt an der Polizeisperre und gingen auf die Provokationen der Nazis ein. Trotz unserer Erklärungsversuche, dass dies nicht unsere Strategie und unser Ziel sein, hörten sie nicht auf.

Die Dresdener Band Banda Comunale spielt ein kleines Willkommenskonzert. Es wird mit Konfetti, Seifenblasen und Tanz gefeiert.
Die Dresdener Band Banda Comunale spielt ein kleines Willkommenskonzert. Es wird mit Konfetti, Seifenblasen und Tanz gefeiert.

Viele reisten schnell nach dem Konzert wieder ab

Und auch am nächsten Abend waren wir wieder eine kleinere Gruppe. In der Nacht von Samstag auf Sonntag blieb ich bis zwei Uhr Nachts, ein Freund war mit dem Auto da und die Nazis schlichen immer wieder durch die Straßen rund ums Leonardo. Ich habe einige Bewohner*innen kennen gelernt, die in Freital Opfer rassistischer Übergriffe geworden sind, sowohl verbal als auch körperlich. Doch solange wir dort waren, konnte die Polizei nicht nur mit einem Auto Vorort sein oder Streife fahren, sondern mussten durchgehend mit mehreren Polizisten dort sein und so wurden zu mindestens die Menschen in und ums Haus geschützt. Nicht nur einmal versuchten Nazis von hinten ans Haus ran zu kommen, Böller, Pyrotechnik oder Glasfaschen gegen das Haus und uns zu werfen.

Da Freital eine Erstaufnahmeeinrichtung ist wurden die Menschen nach spätestens drei Monaten neu verteilt. Zwei meiner Freunde wohnen jetzt in Unterkünften in Dresden und so können wir uns auch hier treffen. Die Familie mit Tamim dem syrischen Jungen hat jetzt eine eigene Wohnung. Die erste Generation von Bewohner*innen ist aus dem Leonardo ausgezogen. Traurig macht es mich, dass ich nicht mehr alle auf einmal Treffen konnte, von vielen habe ich keine Kontaktdaten, glücklich macht es mich von einigen ab und zu zuhören wie es ihnen jetzt geht.
Die „Bürgerwehr Freital 360“ ist noch lange nicht Geschichte, ich fahre nicht mehr jeden Tag hin, aber ab und zu, beim Sommer- und beim Herbstfest war ich, habe neue geflüchtete Kennengelernt, diese freudig in Deutschland willkommen geheißt und einen schönen Abend verbracht.

Kurz zusammen gefasst – Warum bin ich nach Freital gefahren?

Weil ich rassistische Hetzte nicht akzeptiere.

Weil ich der Überzeugung bin, dass wir in Deutschland genug haben, was wir abgeben können.

Weil ich der Meinung bin, dass geflüchtete Menschen so viel Schlimmes erlebt haben, was wir uns alles nicht vorstellen können und wir uns so gut es geht um sie kümmern sollten.

Weil ich in Freital eine tolle Zeit mit tollen Menschen hatte und Freundschaften geschlossen habe.

Weil ich dem Frieden dienen möchte und mich für die Gemeinschaft einsetzte in der ich lebe.

„Also zerreißt das Band der Gleichgültigkeit was sich um euer Herz gelegt hat.“

(Sophie Scholl)

Steht auf und engagiert euch! Denn kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall!

Gut Pfad

Lilofee

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Was denkst du?

  • Benjamin Holm

    Unglaublich cool! Danke dafür und fürs teilen eurer Geschichte! Mehr davon!

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