Irland_2023-06-01_15-17-07
NEUE BRIEFE

Brennen ohne auszubrennen*

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Wie schwer ist eigentlich dieser Rucksack?

Hab ich dir schon einmal von meinen Großfahrten erzählt? Ich glaube fast nicht. Ich rede auch selten drüber. Das erste Mal für länger unterwegs war ich mit Menschen aus meinem Stamm in Tschechien. Wir waren wirklich eine kleine Truppe, so zu fünft, ich die einzig weiblich gelesene Person. Später war ich dann einmal für zwei Wochen im Harz unterwegs. Auf dieser Fahrt waren wir auch eine kleine, aber deutlich bunter zusammengewürfelte Gruppe, lauter Menschen, die mir sehr wichtig sind.

Bei der ersten Fahrt war mir sehr bewusst und es wurde mir immer wieder bewusst gemacht, dass ich in vieler Hinsicht das schwächste Mitglied der Gruppe bin: Während die anderen vier sich gegenseitig übertrumpfen wollten, wie viel Liter Wasser sie zusätzlich zu ihrem Gepäck noch tragen können, war ich ganz ohne zusätzliche Wassersäcke schon an meinem Limit. Es war so klar, dass ich beim Holzhacken nie die gleiche Kraft aufwenden kann, wie die anderen. Das ist ja auch vollkommen okay. Und trotzdem hat sich dieses nagende Schuldgefühl, dass ich vielleicht nicht genug für die Gruppe beitrage, nie so ganz verabschiedet. Jeden Morgen, den wir Essen und die allgemeine Ausstattung verteilt haben, habe ich also darauf geachtet, meinen Rucksack mit den schweren Dingen zu füllen. Vielleicht würde sonst auch jemand denken, dass ich mich vor Aufgaben drücke?

Das ging etwa eine Woche gut, dann haben meine Füße angefangen unglaublich zu schmerzen. Plötzlich konnte ich wirklich nicht mehr viel tragen. Irgendwann haben mir die anderen aus der Truppe sogar mein privates Gepäck abgenommen. Es war mir so unangenehm und ich hab mich wie eine Last für die anderen gefühlt, auch wenn sich die meisten aus der Gruppe so viel Mühe gegeben haben, mir dieses Gefühl zu nehmen (dafür bin ich immer noch unglaublich dankbar <3). In meinem Kopf waren trotzdem all die Fahrtenerzählungen, die ich über die Zeit so mitbekommen habe, in denen über Personen gelästert wurde, die (körperlich) an Grenzen gestoßen sind, auf die man so viel Rücksicht nehmen musste, die für alle anderen so anstrengend waren, weil sie Erwartungen nicht erfüllt und in dem Sinne nicht „funktioniert“ haben.

Für die Fahrt in den Harz wollte ich so vieles besser machen, aus meinen Fehlern lernen. Ich habe mir bessere Wanderstiefel gekauft und gehofft, dass sich das Problem damit erledigt hat. Auch war ich diesmal mit einer Gruppe unterwegs, in der ich mich wohlgefühlt habe, nicht das Gefühl hatte, mich beweisen zu müssen. Und trotzdem habe ich es nicht geschafft aus dem Muster auszubrechen: Ich habe wieder vieles von dem schweren Material und Essen übernommen. Und wieder ging nach einer Woche fast nichts mehr. Wieder habe ich versucht, den anderen möglichst wenig zur Last zu fallen, mir möglichst wenig anmerken zu lassen, wie sehr meine Füße schmerzen und stattdessen fröhlich zu bleiben.

Was den wenigsten aus beiden Fahrtengruppen bewusst ist: Nicht nur, dass ich die zweite Hälfte der Fahrt schmerzende Füße hatte, ich konnte auch jeweils in den darauffolgenden ein, zwei Wochen nicht mehr ohne Schmerzen gehen. Ich lag größtenteils im Bett und hab Verabredungen abgesagt.

Was beide Fahrtengeschichten aussagen? Einmal natürlich, dass ich unmuskulös und unsportlich bin. Aber das ist auch okay soweit und das sind beides Dinge, die ich nicht auf die Schnelle ändern können werde, ganz unabhängig davon, wie sehr ich das will. Was sie aber auch aussagen: wie sehr Schwäche zeigen mit Scham verknüpft ist – vielleicht auch ganz besonders in einem immer noch recht männlich geprägten Raum wie den Pfadis. Wie schnell sich Strukturen einschleichen, in denen wir mehr übernehmen, als wir tragen können (das können Kothenplanen und Marmeladengläser sein oder aber Ämter und die Planung von Projekten). Und wie sehr wir als Einzelne aber auch als Gruppe drunter leiden, wenn quantifizierbare Leistung einen zu hohen Stellenwert bekommt. Vielleicht schaffen wir es, immer mehr auch die weniger offensichtlichen Leistungen sichtbar zu machen und wertzuschätzen und so zu zeigen, dass egal mit welchen Stärken man sich in die Gruppe einbringt, diese unglaublichen Mehrwert für alle bringen. Ganz egal ob das die Routenplanung im Vorfeld ist, die Essensplanung oder das aufeinander achten.

Sollte ich mal wieder auf eine Großfahrt gehen, werde ich mein Bestes geben, schon im Vorhinein meine Bedürfnisse zu kommunizieren und offen damit umzugehen, dass egal wie sehr ich es auch will, manches nicht schaffen werde. Denn: Umso mehr einzelne auch mal Schwäche zeigen, desto leichter wird es auch für alle anderen, zu kommunizieren, wenn es mal zu viel wird.

Isabel Sax
Bundesbeauftragte Politik & Gesellschaft
LV Bayern

*„Brennnen ohne Auszubrennen“ ist eine Artikelreihe für alle, die Pfadfinden lieben, aber sich manchmal fragen, ob sie eigentlich auch Freizeit verdient haben.

Foto: Nathanael Feßenbeker

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