„Die Geflüchteten brauchen dauerhaft unseren Schutz“
,Für unseren aktuellen Themenschwerpunkt „Flucht & Asyl“ hat sich Thommes (Thomas Korbun aus Berlin), aus dem AK Flucht & Asyl an Günter Burkhardt von der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL gewendet. Dabei ist dieses Interview herausgekommen – über die Situation von geflüchteten Menschen in Deutschland und auch darüber, wie sich Vereine und Jugendgruppen, also auch wir im BdP für Geflüchtete engagieren können.
Thommes: Günter, du setzt dich als Mitgründer und Geschäftsführer von PRO ASYL seit mehr als 30 Jahren für Menschenrechte ein. Wie geht es geflüchteten Menschen in Deutschland zur Zeit?
Günter: Die Politik hierzulande setzt seit Jahren auf abschreckende Maßnahmen gegen Geflüchtete. Die Menschen sollen sich gar nicht erst integrieren und am besten gleich das Land verlassen. Ein Beispiel ist die Unterbringung in Lagern: Wenn Schutzsuchende Deutschland erreichen, werden sie teilweise bis zu zwei Jahre lang in großen, oft abgeschiedenen Sammellagern isoliert.
Thommes: Was kritisiert ihr an der Unterbringung in Sammellagern?
Günter: Für die Geflüchteten heißt das: Mehrbettzimmer, kaum Privatsphäre, Arbeitsverbote, verhinderter Zugang zu Schule, Ausbildung und Deutschunterricht. Diese Lager sind wirklich ein Riesenproblem, die Menschen werden mürbe gemacht. Wie sollen sie dort Kontakt finden zu Ehrenamtlichen, Beratungsstellen, Rechtsanwält*innen? Die Folge ist, dass sie im Asylverfahren abgelehnt werden.
Thommes: Was passiert, wenn Asylgesuche abgelehnt werden?
Günter: Die Angst vor der Abschiebung ist groß. Afghanische Geflüchtete beispielsweise, deren Land seit Jahrzehnten im Kriegszustand ist, fürchten, wieder dorthin zurück geschickt zu werden. Deutschland schiebt tatsächlich in das Kriegsland Afghanistan ab – 2019 war es das unsicherste Land der Welt. Oft genug treffen Abschiebungen Menschen, die schon lange hier leben, eine Arbeit haben oder eine Ausbildung machen und längst integriert sind. Das ist vollkommen absurd.
Thommes: Was fordert Ihr von Pro Asyl?
Günter: Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete darf es nicht geben. Geflüchteten drohen dort Lebensgefahr und schlimmste Menschenrechtsverletzungen. Viele Menschen, die zu uns nach Deutschland kommen, sind aus Ländern geflohen, in denen seit Jahren Krieg, Gewalt und Unterdrückung herrschen – Syrien, Afghanistan oder Eritrea. Die Geflüchteten brauchen dauerhaft unseren Schutz.
Thommes: Was können Politikerinnen und Politiker in Städten und Gemeinden tun?
Günter: Die Menschen müssen von Tag eins an integriert werden. Sie müssen Zugang zu Sprachkursen bekommen und am besten dezentral in den Kommunen untergebracht werden, wo sie auch Kontakte knüpfen, Freundschaften aufbauen und Anteil an der Gesellschaft haben können. Isolation und Arbeitsverbote in Sammellagern sind das Gegenteil davon.
Thommes: Das Thema Flucht kommt heute viel seltener in den Nachrichten vor als vor einigen Jahren. Hat die Hilfsbereitschaft der Menschen in Deutschland abgenommen?
Günter: Wir sehen nach wie vor eine große Hilfsbereitschaft in der Gesellschaft, sich für Flüchtlinge zu engagieren – in Städten, Kommunen und selbst kleinsten Orten. Inzwischen gibt es mehr als hundert Städte und Kommunen in Deutschland, die Geflüchtete aus den erschreckenden Notlagen an den europäischen Außengrenzen aufnehmen wollen, sowohl im Mittelmeer gerettete Geflüchtete als auch Schutzsuchende, die in den Elendslagern auf den griechischen Inseln in der Ägäis festsitzen.
Thommes: Wie wichtig ist für euch das ehrenamtliche Engagement von Jugendgruppen und Vereinen?
Günter: Organisationen, Vereine und Willkommensinitiativen leisten Großartiges. Sie organisieren Sprachkurse für Geflüchtete, Hausaufgabenhilfe, Begegnungsangebote etc. Viele Ehrenamtliche begleiten Schutzsuchende beim Asylverfahren oder bei Behördengängen oder unterstützen sie bei der Wohnungssuche oder der Suche nach einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Oft genug bekommen sie dabei unmittelbar mit, wie schwer es geflüchteten Menschen gemacht wird, hier anzukommen und sich zu integrieren. Dieses Engagement verdient allergrößten Respekt.
Thommes: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Thommes (Thomas Korbun), Berlin
PRO ASYL ist eine Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Frankfurt am Main, die sich seit mehr als 30 Jahren für die Rechte von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Deutschland und Europa einsetzt. Günter Burkhardt ist der Geschäftsführer von PRO ASYL.
www.proasyl.de
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