Instagram kann mehr als Beauty. Jugendpartizipation im digitalen Zeitalter
,Wie wäre es mit WLAN im Stammesheim? Schnell mal den Vogel mit dem grün gepunkteten Gefieder googeln. Oder das Bilderbuch-Lagerfeuer auf Instagram teilen. Schon mal darüber nachgedacht? Wahrscheinlich schon, denn: die Digitalisierung macht auch vor Menschen mit blau-gelbem Halstuch keinen Halt – und das ist auch gut so.
Um mehr über unsere digitale Gegenwart und Zukunft zu erfahren, besuchte Theresa vom Arbeitskreis Politische Bildung im September die TINCON*, die teenageinternetwork convention, in Hamburg. Die Konferenz für Jugendliche und von Jugendlichen umfasst ein buntes Ensemble aus Vorträgen, Workshops und Debatten unter Titeln wie „CODEN, PROGGN, SACHEN MACHEN!“, „Insta kann mehr als Beauty!“ oder „die cops ham mein handy“. Theresa interviewte die TINCON- Projektleiterin Sheherazade Becker, die dafür plädiert digitale Jugendkultur endlich ernster zu nehmen.
Theresa: Die TINCON fordert junge Menschen auf, mitzureden, sich einzumischen und aktiv zu werden. Warum ist es wichtig, Jugendliche an der Gestaltung unserer digitalen Zukunft zu beteiligen?
Sheherazade: Also, zum einen muss man voranstellen, dass die Gruppe der jungen Menschen ganz, ganz klein ist und das viele von denen, eben vor allem die unter 18-Jährigen, sich nicht beteiligen können, weil sie nicht wählen dürfen. Das heißt, im Moment werden gesellschaftliche Prozesse, werden bildungspolitische Prozesse von älteren und wirklich alten Menschen bestimmt, gestaltet und eben irgendwie die Zukunft vorangebracht. Aber die, die es betrifft, werden nicht zu Rate gezogen. In Gesprächsrunden sitzen Akademiker weit über fünfzig, die über junge Menschen sprechen, aber nie mit jungen Leuten zusammen. Und genau da sehen wir [von der Tincon, Anm. der Autorin] den Ansatz: Wenn es um zukunftsweisende Dinge geht, dann müssen wir die Jugend mit ins Boot holen, die es betrifft. Gerade was Innovation, Digitalisierung und digitalen Fortschritt angeht merken wir, dass junge Menschen viel angstfreier damit umgehen, zum einen, und zum anderen ein ganz, ganz großes Knowhow mitbringen, von dem wir alle nur profitieren können. Und deswegen glauben wir, dass es ganz, ganz wichtig ist zum einen, ihnen eine Bühne zu geben, wo sie ihre Gedanken, Ideen präsentieren können, und zum anderen sie zu ermutigen, zu inspirieren und zu befähigen, sich in gesellschaftliche Prozesse einzubringen.
Theresa: Bei Fragen der Digitalisierung herrscht ja auch unter Erwachsenen eine riesengroße Unsicherheit. Würdest du sagen, dass junge Menschen diesen Herausforderungen besser entgegentreten können als ältere?
Sheherazade: Ja, weil sie ganz selbstverständlich mit digitalen Tools aufwachsen. Natürlich fehlen Medienkompetenzen, die wir ihnen an die Hand geben müssen. Aber da ist einfach eine ganz große Angstfreiheit, eine Affinität, eine große Selbstverständlichkeit mit digitalen Tools umzugehen, die gefördert werden muss und die einen großen Unterschied macht. Ich glaube, dieses angstfreie Umgehen ist der Schlüssel.
Theresa: Seit 2006 gilt an bayerischen Schulen ein Handyverbot und in Frankreich dürfen Schüler ihr Smartphones selbst in den Pausen nicht aus der Tasche ziehen. Auch in meiner Gruppenstunde bei den Pfadfindern trafen meine Sipplinge böse Blicke, wenn ich sie mit dem Handy in der Hand erwischte. Ich war der Meinung, dass es wichtig sei, einen Freiraum zu schaffen, in dem die Jugendlichen sich nur mit dem hier und jetzt und nicht mit der digitalen Welt beschäftigen. Ein Freiraum, der wichtig ist, um den eigenen Konsum besser reflektieren zu können. Wie stehst Du zu dieser Debatte?
Sheherazade: Ich denke, zum einen sind Verbote nie zielführend. Wir [von der Tincon, Anm. der Autorin] glauben, dass es wichtig ist, sich klar zu machen, dass Jugendkultur im Digitalen stattfindet. Sei es über Messenger-Dienste, sei es über Youtube, sei es über Online-Magazine, sei es über soziale Netzwerke wie Instagram oder Snapchat. Jugendliche beschäftigen sich mit allen wichtigen Themen: Politik, Gesellschaft, eigenen Identitätsfragen, Popkultur. Also wirklich alles, was den gesellschaftlichen Diskurs aufmacht, findet im Digitalen statt.
Wichtig ist natürlich, Medienkonsum kritisch zu hinterfragen. Auch zum Beispiel YouTube und andere soziale Netzwerke kritisch unter die Lupe zu nehmen. Aber es darf nie, und das ist der Ansatz der TINCON, es sollte nie mit Verboten einhergehen. Es müssen tatsächliche Freiräume, im Sinne Freiheit des Denkens und Freiheit des eigenen Reflektierens, geschaffen werden.
Und dafür ist die TINCON ein analoger Ort. Wir könnten ja auch sagen, sie findet als digitale Konferenz im Netz statt. Es gibt einen Stream und jeder kann sich einloggen und kommentieren. Wir merken aber, dass es ganz, ganz wichtig ist für den Austausch, dass es einen analogen Ort gibt. Aber wir müssen wahrnehmen und auch respektieren, dass Jugendkultur im Digitalen stattfindet.
Theresa: Gesellschaftliche Beteiligung, Ideen sammeln, diskutieren, aber auch einen Konsens finden, ist das im Digitalen überhaupt möglich? Oder bedarf es dafür das Analoge?
Sheherazade: Ich glaube beides ist wichtig und beides ist richtig. Es geht nur zusammen. Es ist aber nicht wichtig, am Ende immer der gleichen Meinung zu sein, sondern andere Meinungen zuzulassen. Ein Konsens ist immer schön, aber vielleicht manchmal gar nicht herzustellen. Manchmal geht es auch tatsächlich um die Diskussion. Und da ist bestimmt manchmal das Digitale schwierig. Anonymität eröffnet auch die Grenzen des Negativen. Es ist wichtig, sich auf gemeinsame Werte zu berufen. Es darf niemand in seiner eigenen Freiheit beschränkt werden. Aber eben auch nur so lange, wie es die Freiheiten des anderen respektiert.
Theresa: Als in den 1990er Jahren das World Wide Web geboren wurde, gab es die Hoffnung, dass die digitale Technologie unsere Demokratie revolutionieren würde und Macht in der Gesellschaft besser verteilt sein wird. Sind wir auf dem Weg in eine bessere, digitale Demokratie?
Sheherazade: Naja, es wird natürlich alles unmittelbarer. Der Zugang zu Information und zu meiner eigenen Meinungsbildung ist unmittelbarer, vielleicht auch einfacher und mit Sicherheit auch in gewisser Art und Weise gerechter, weil er eben jedem zur Verfügung steht. Sprich, wenn ein Haushalt früher keine Tageszeitung gelesen hat, dann haben die Kinder das wahrscheinlich auch nicht gemacht. Wissen und Bildung steht jedem durch das Netz zu Verfügung, jederzeit.
Aber auch da müssen wir Jugendliche befähigen, entscheiden zu können, was ist eine Nachricht ist und was gestreute Falschmeldung und Medienkompetenzen vermitteln. Wie kann ich zum Beispiel einen Nachrichtenbeitrag überprüfen, ob er stimmt oder nicht? Und wie kann ich mir eine Meinung bilden, die ausgewogen ist und auf demokratischem Fuß steht?
Das Interview führte: Theresa Henne, AK Politische Bildung (Stamm Roter Milan, Nidderau/LV Hessen).
Foto: Gregor Fischer/TINCON
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