Kleine Meuten, große Probleme
,Was ist der grundlegende Unterschied zwischen der DPSG und dem BdP? Die Schwarzzeltkultur? Das Liedgut? Oder die durchschnittliche Anzahl von Abzeichen pro Klufthemd? Das könnte man zwar alles meinen, aber der wirklich grundlegende Unterschied ist die Frage, ab welchem Alter man Gruppen leiten darf. Während die DPSG komplett auf Erwachsene setzt, schwören wir auf jugendliche Meuten- und Sippenführungen. Dass unsere Gruppen von Jugendlichen geführt werden sollen ist ein wichtiger Teil unseres Selbstverständnisses. Schließlich möchten wir eine Jugendbewegung sein.
Dieser Grundsatz hat allerdings seinen Preis. Wer nämlich aus Prinzip mit jugendlichen Führungskräften arbeitet, nimmt eine hohe personelle Fluktuation im Stammesrat in Kauf. Die Verweildauer im Stammesrat dürfte im Regelfall kaum drei Jahre übersteigen. Denn die meisten unserer Meuten- und Sippenführungen gehen nach dem Abi studieren und stehen dann nicht mehr für die Stammesarbeit zur Verfügung. Das macht unsere Stämme anfällig für Führungskräftemangel.
Nicht immer verläuft der Wechsel in der Gruppenführung reibungslos. Denn nicht alle BdP-Stämme zeichnen sich durch weitsichtige Personalplanung aus. Und wo Gruppenleitungen fehlen, werden häufig kurzerhand z.B. 13-Jährige zu Meutenführungen gemacht. Damit scheint das Problem fehlender Gruppenleitungen dann erst mal gelöst.
An dieser Stelle soll gleich klargestellt werden, dass es hier nicht darum geht, das Engagement junger Meuten- und Sippenführungen in Abrede zustellen. Es gibt sicher besonders talentierte Jugendliche, die auch mit 13 bereits tolle Meutenführungen sind, auch wenn ich das für die Ausnahme halte. Es gibt auch Stämme, die tatsächlich keine andere Wahl haben. Es geht hier nicht darum, irgendwen anzuprangern. Es geht darum, zu zeigen, was nachhaltig und daher empfehlenswert erscheint.
Bei allem Verständnis für die Probleme unserer Stämme gibt es aus meiner Sicht aber zwei entscheidende Argumente, die massiv gegen den Einsatz sehr junger Meuten- oder Sippenführungen sprechen. Zum einen untergräbt diese Praxis unseren pädagogischen Anspruch und unsere Stufenkonzeption. Denn Wölflinge haben ein Recht auf anspruchsvolles Programm, das 13-jährige Meutenführungen in der Regel kaum dauerhaft gewährleisten können. Und genauso haben 13- bis 15-Jährige einen Anspruch auf eine aufregende und spannende eigene Sippenzeit.
Zum anderen können viele Stämme ein Lied davon singen, dass durch den Einsatz zu junger Meuten- und Sippenführungen die Probleme erst so richtig losgehen. Wer nämlich anfängt, die fitten 13-Jährigen aus den Sippen zu ziehen, gefährdet seine Pfadfinder*innenstufe. Nicht selten werden dann in der Not funktionierende Sippen auseinander gerissen. Und während sich die einen gebauchpinselt fühlen, weil man ihnen schon eine Führungsaufgabe zutraut, fühlen sich die anderen zurückgesetzt, weil sie nicht gefragt werden. Spätestens aber, wenn es in der Meute nicht so läuft wie gewünscht, ist die Gefahr groß, dass auch die besten 13-Jährigen nach kurzer Zeit frustriert die Brocken hinschmeißen. Und dann kann es richtig eng für den Stamm werden.
Diese Flickschusterei hat also zwei wesentliche Effekte: Sie verhindert einerseits, dass Pfadfinden im BdP in der Qualität stattfindet, die wir uns wünschen und gefährdet andererseits die Existenz eines Teiles unserer Stämme. Sollten wir es also vielleicht doch lieber der DPSG gleichtun und auf erwachsene Gruppenleitungen setzen, weil diese doch mehr Konstanz versprechen?
Das sollte nicht nötig sein. Wir können nämlich sehr wohl auch mit jugendlichen Führungskräften zu stabilen Stämmen kommen. Aber dazu brauchen wir im BdP vor allem eines: nämlich viel mehr Wölflinge. Zwei Rechenbeispiele sollen helfen, diese Notwendigkeit zu verdeutlichen.
Angenommen, ein Stamm hätte zwölf bis 15 Wölflinge. Viele im BdP würden das sicher für eine solide Basis halten. Doch bei einer Normalverteilung der Wölflinge über alle Grundschuljahrgänge wird ein solcher Stamm nur alle zwei Jahre eine Sippe von sechs bis sieben Kindern in die Pfadfinder*innenstufe ausstoßen. Da im Laufe der langen Sippenzeit ein paar Austritte die Norm sind, bleiben am Ende etwa vier bis fünf Sipplinge übrig, die in die R/R-Stufe aufsteigen. Nicht alle möchten im Stamm Führungsaufgaben übernehmen. Gehen wir also von drei bis vier neuen Gruppenleitungen alle zwei Jahre aus. Das ist zu wenig, um die kontinuierliche Stammesarbeit in allen Stufen zu gewährleisten. Und wenn dieser Stamm es trotzdem schaffen sollte, damit irgendwie über die Runden zu kommen, hängt er doch immer am seidenen Faden. Dann darf nichts mehr schiefgehen.
Oft geht aber etwas schief. Jeder Gruppenleiter, dem der Vorabistress zu viel wird, jede Gruppenleiterin, deren neuer Freund zu viel Zeit beansprucht, kann dann zur ernsten Bedrohung für den Stamm werden. Und wenn sich gar mal eine Sippe vor der Zeit auflöst? Dann dauert es in diesem Beispiel ganze vier Jahre, bis die nächste Sippe das R/R-Alter erreicht. Und dann müssen eben die 13-Jährigen ran, mit den oben beschriebenen zumeist unerfreulichen Folgen.
Chronischer Mangel an Führungskräften ist also kein Zufall, sondern vielmehr die absehbare Folge einer wenig nachhaltigen Mitgliederstruktur. Wer einen stabilen Stamm mit jugendlichen Gruppenleitungen will, muss zuerst die dafür notwendigen Voraussetzungen schaffen. Solide Personalplanung fängt immer in der Wölflingsstufe an. Nur wer mit genügend Wölflingen startet, kann verlässlich mit genügend potentiellen Gruppenleitungen rechnen. Zwölf bis 15 Wölflinge sind einfach nicht nachhaltig.
Man kann kein Haus ohne solides Fundament errichten. Und genauso wenig kann man einen stabilen Pfadfinderstamm auf einer kleinen Wölflingsstufe aufbauen. Wenn ein Stamm das aber berücksichtigt, dann sieht die Welt schon anders aus.
Hierzu soll das zweite Beispiel dienen. Hat ein Stamm also zwei Meuten mit insgesamt 25 bis 30 Wölflingen, kann jedes Jahr eine neue Sippe aufsteigen. Die sich so ergebenden vier bis sechs Sippen dieses Stammes können zusammen soviel auf die Beine stellen, dass die Wahrscheinlichkeit deutlich sinkt, dass ganze Sippen eingehen. In diesem Stamm kommen jedes Jahr vier bis fünf potentielle Führungskräfte in der RR-Stufe an. Stämme, die dieses Modell ein paar Jahre lang fahren, kennen keinen Gruppenleitungsmangel. Es gibt sogar Stämme, und das ist kein Scherz, in denen Überfluss an geeigneten Rangern und Rovern herrscht. Das heißt, dass gar nicht mehr alle eine Gruppe übernehmen können, die das gerne tun würden.
Das große Ziel für jeden an Stabilität interessierten Stamm sollte also sein, dauerhaft zwei starke Meuten zu etablieren. Das mag für manchen Stamm ein weiter Weg sein, aber es ist ein Weg, der sich lohnt.
Was aber sollen die Stämme tun, die jetzt ganz aktuell vor dem Problem stehen, zu wenige Gruppenleitungen zu haben? Sie müssen zuerst irgendwie der Versuchung widerstehen, ihre zu jungen Sipplinge als Lückenbüßer für die verfehlte Personalplanung des Stammes zu verheizen. Denn das vergrößert die Probleme fast immer eher, als dass es sie löst. Und dann muss ganz grundsätzlich umgedacht werden. Die Mitgliederstruktur muss genau analysiert und ein langfristiger Personalplan gemacht werden. Am besten natürlich mit einem externen Moderationsteam im Rahmen eines Stammeskompasses.
Die vorhandenen Personallücken müssen also anders gefüllt werden. Dabei sollten wir uns neuen Ansätzen öffnen. Warum sollten nicht erwachsene Ehemalige oder auch nette Wölflingseltern für einen begrenzten Zeitraum von vielleicht zwei Jahren eine Meute unterstützen oder übernehmen können? Es gibt viele Lösungsansätze, wenn wir dafür offen sind. Und alle scheinen mir besser, weil nachhaltiger, als unsere Sippen zu zerpflücken. Es ist großartig, wenn Jugendliche unsere Gruppen führen. Das wollen wir im BdP so, und das soll auch so bleiben. Das darf aber nicht dazu führen, dass viele Stämme konstant auf des Messers Schneide stehen.
Wenn wir also wollen, dass unser Modell auf Stammesebene langfristig gelingen kann, müssen wir drei Voraussetzungen erfüllen: Wir dürfen erstens Jugendliche nicht zu früh mit Verantwortung überfordern. Um das zu erreichen, müssen wir zweitens die Personalsituation unserer Stämme konstant und weitsichtig im Blick behalten. Und wir müssen drittens und vor allem dafür sorgen, dass unsere Stämme immer richtig viele Wölflinge haben. Wer A sagt, muss auch B, C und D sagen.
Wenn wir das schaffen, wendet sich so vieles zum Guten. Dann erleben unsere Wölflinge ein anspruchsvolles, altersgerechtes Programm und fühlen sich dabei sicher und geborgen. Dann können unsere 13-Jährigen das tun, was sie eigentlich tun sollen. Nämlich spannende, prägende Abenteuer in ihrer Sippe erleben, die sie zu begeisternden und kompetenten Gruppenleitungen machen, wenn sie dann mal 16 sind. Und vor allem nehmen dann unsere Meuten- und Sippenführungen mit viel mehr Freude ihre Aufgabe wahr, weil sie sie herausfordert, aber nicht überfordert. Dann machen sie dabei wertvolle Erfahrungen für ihr Leben, dann sammeln sie Erfolgserlebnisse und reifen zu Persönlichkeiten. Was für ein Gewinn!
Dass unsere Stämme dann einfach viel stabiler dastehen und der BdP dabei kräftig wächst, ist mehr als nur ein schöner Nebeneffekt.
Übrigens gibt es auch im BdP erwachsene Gruppenleitungen, die in ihren Stämmen zuverlässig ganz tolle und wichtige Arbeit leisten. Sie verdienen dieselbe Anerkennung wie alle engagierten Menschen in unserem Bund. Das soll hier nicht vergessen werden, ist aber ein Thema für einen eigenen Artikel.
Was die zu jungen Gruppenleitungen angeht, kann ich nur zustimmen! Zwei andere Aspekte:
1. “die meisten unserer Meuten- und Sippenführungen gehen nach dem Abi studieren”
Das eigentliche Problem ist nicht das Studium, sondern dass es überhaupt so viele Gymnasiasten bei den Pfadfindern gibt. Bei einer diverseren Mitgliederstruktur wäre der Weggang nicht so gravierend.
2. Es ist immer noch ein tiefsitzendes Dogma im BdP, dass es eine Meute braucht, um einen Stamm aufzubauen. Es ist aber durchaus möglich, Über-11-Jährige zu werben. Das ist zwar mit mehr Arbeit verbunden, kostet am Ende aber weniger Mühe als jahrelang eine Meute großzuziehen. Man darf nicht vergessen, dass die Pfadfinder damals ohne Wölflinge entstanden sind und sich weltweit verbreitet haben.
Volle Zustimmung zum Thema diversere Mitgliederstruktur. Diese wäre aus ganz vielen Gründen hochgradig wünschenswert.
Beim Thema Neugründung stimme ich nur bedingt zu. Zum einen, weil ich es für kein Dogma halte, dass man mit der Wölflingsstufe anfangen muss. Das wird ja nirgends so gelehrt. Und zweitens, weil man kann selbstverständlich auch mit der Pfadi-Stufe anfangen kann. Der Grund liegt auf der Hand- man kann den Stamm vermeintlich schneller an die jungen Leute übergeben und sich als Gründer wieder rausziehen. Tatsächlich passiert es aber oft, dass diese Sipplinge das Programm zwar gerne annehmen, es dann aber nicht unbedingt als ihre Aufgabe ansehen, mit 16 auch selbst eine Gruppe zu übernehmen. Zumindest nicht mit der Selbstverständlichkeit, mit der das die meisten Jugendlichen tun, die schon im Wölflingsalter zu uns gestoßen sind. Ich spreche aus leidvoller Erfahrung… ich glaube also, dass der mühsame Weg der über die Wölflingsstufe der nachhaltigere ist.