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NEUE BRIEFE

Kritisches Liedgut

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So viele Lieder, die bei uns Pfadis, bei uns im BdP, gesungen werden, verknüpfe ich mit einzigartigen Momenten, die ich, seit ich bei den Pfadis bin, erleben durfte und mit wundervollen Menschen, die ich seitdem getroffen habe. Für mich, wie für so viele, sind die Lieder, die wir singen, emotional aufgeladen. Manchmal sind sie mit glücklichen Erinnerungen verbunden, manchmal mit Traurigkeit.

Dass uns unser Liedgut bewegt und nicht kalt lässt, ist nur logisch! Warum also sollten wir uns als Gruppe von einzelnen Liedern trennen – obwohl Einzelne vielleicht gute Erinnerungen damit verknüpfen oder es einfach Spaß macht diese Lieder zu singen? Da sind wir am Kern des Problems angekommen: Möglicherweise bereiten uns Lieder zwar Freude, doch Anderen fügen wir mit dem, was wir singen, ungewollt Schmerz zu. Da sind zum Beispiel die Lieder mit problematischen Wörtern wie dem Z- und dem N-Wort*. Bei Liedern, die diese Worte beinhalten, ist ganz klar: Damit verletzen wir Menschen. Und woher sollten wir das Recht nehmen, mit einem unbedachten Lied Anderen Leid, das man niemals kleinreden kann, zuzufügen? Ein anderes Thema ist die Autor*innenschaft von Liedern. Oft könnte man sagen: Wir singen diese Lieder nun schon so lange und wem ist denn noch wirklich klar, welchen Ursprung und welche Autor*in ein Lied hat? Solange der Text unproblematisch ist, ist das doch kein Problem? Und: Existiert der Text nicht ziemlich losgelöst von der Autor*in? Doch Lieder existieren nie im luftleeren Raum, sondern schleppen immer einen weiteren Kontext mit. Für mich wäre also auch in so einem Fall klar: Singen wir zum Beispiel die Lieder von Täter*innen, verharmlosen wir die Taten, die wir ja eigentlich verurteilen und halten auch eine Erinnerung an die Täter*innen konstant aufrecht.

Vielleicht können wir den Umgang mit Liedgut also in Zukunft anders aufziehen. Vielleicht müssen wir uns nicht fragen: Welche Lieder sollten wir streichen? Sondern eher: Welche Lieder wollen wir singen? Welche Lieder spiegeln unsere Werte wider? Welche Liedautor*innen finden wir gut?

Das ist dann auch ein ganz wunderbarerer Zeitpunkt zu schauen, ob wir mit unseren Liedern ein diverseres Bild an Liedautor*innen zusammen bekommen. Und wenn das heißt vielleicht mehr von Dota zu singen, warum nicht? Unser Liedgut ist zwar Tradition, aber warum sich einen Klotz aus fragwürdigen Liedern ans Bein binden, wenn es uns vor allem darum geht, zusammen beim Singen am Feuer Spaß zu haben?

Wir haben die Möglichkeit, in Gruppenstunden Lieder zu singen, die zeigen, dass es eine diverse Gruppe Menschen gibt, die wundervolle Lieder schreibt. Anstatt marginalisierte Gruppen als “die Anderen” darzustellen, können wir in Liedern auch die Vielfalt in unserer Gesellschaft in den Fokus rücken. Wir können mit Liedern deutlich machen, dass man für Kaperfahrten weder Bärte braucht noch männlich sein muss und dass Mädchen und Frauen mehr sind als Dekoobjekte am Ofen. Wir können auf geschichtliche Begebenheiten aufmerksam machen und schöne Traditionen aufrechterhalten. Mit Liedern kann sich widerspiegeln, wie wir uns, unsere Ansichten und Standpunkte verändern und wie wir wachsen. Wer weiß, wie lange wir zum Abschied noch von Brüdern singen werden?

Lasst uns diese Möglichkeiten in Zukunft mehr nutzen!

Isabel Sax

*Das Z-Wort ist eine Fremdbezeichnung, die seit Jahrhunderten verwendet wird, um Menschen wie Sinti und Roma systematisch zu diskriminieren. Deswegen steht das Wort für sehr viel Leid und Gewalt. Es ist auch eng mit der Erinnerung an den Genozid an den europäischen Roma in der Zeit des Nationalsozialismus verknüpft. Der Buchstabe “Z” wurde den Sinti und Roma in den Konzentrationslagern des Deutschen Reiches auf die Haut tätowiert.

Quellen: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/rassismusdebatte-warum-wir-das-z-wort-nicht-mehr-benutzen-sollten

https://zentralrat.sintiundroma.de/sinti-und-roma-zigeuner/

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