Liedgut
NEUE BRIEFE

Lesendenbrief zu pfade-Augabe #37 “Liedgut und Singekultur”

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Liebes pfade-Team,

erstmal vorneweg vielen Dank, dass ihr so viel Mühe in die pfade-Ausgaben steckt. Wir fühlen uns eigentlich immer sehr gut von eurem Magazin repräsentiert und informiert und freuen uns, dass so auch die Eltern einen sehr schönen Einblick in die Pfadiwelt bekommen. Dankeschön!
Wir hatten uns eigentlich sehr auf die aktuelle Ausgabe über Liedgut gefreut, da die kritische Auseinandersetzung mit unserem Liedgut auch etwas ist, was uns sehr am Herzen liegt. Wir wollen in unserem Stamm einen Raum schaffen, in dem sich alle möglichen Minderheiten wohlfühlen können, auch in Singerunden.
Wir finden es gut und unterstützenswert, dass in der pfade und den Neuen Briefen verschiedenste Blickwinkel zu verschiedenen Themen abgebildet werden. Auch wenn uns manche Meinungen dort nicht immer schmecken, ist es gut, dass sie dort abgebildet werden. Dennoch ist es uns wichtig, dass manche Meinungen in Kontext gesetzt werden und dies ist unserer persönlichen Meinung nach in der aktuellen Ausgabe nicht ausreichend geschehen.
Vorneweg möchten wir nochmal betonen, dass wir niemandem den Mund verbieten wollen und uns auch aktiv dagegenstellen, dass irgendwelche Lieder oder Liedteile ohne gründliche Auseinandersetzung verboten werden. Vielmehr ist es uns wichtig (nach unseren Pfadiregeln) „…kritisch zu sein und Verantwortung zu übernehmen“. Und so müssen wir auch bei unserem Liedgut kritisch sein und Verantwortung übernehmen. Wir finden es sehr wichtig, über unser Liedgut und die rassistischen und diskriminierenden Begriffe und Erzählweisen darin aufzuklären und sie auch zu benennen wo sie uns begegnen.
Folgendes ist uns in dem Interview mit dem mittlerweile leider verstorbenen Frank Diener zu Pfadiliedgut aufgestoßen. In seinem Interview (Neue Briefe S. 4, #37) sagte er:
„Das Wort ‚Nutte‘ hat nichts Diskriminierendes. Es hat erst etwas Diskriminierendes, wenn ich damit jemanden beleidigen will.“
Dem können wir nicht zustimmen. Worte können sehr verletzend und diskriminierend sein, auch wenn die Person, die sie ausgesprochen hat, die besten Absichten hatte.
Des Weiteren fanden wir folgendes bedenklich: (Das Wort „Zigeuner“ haben wir in folgendem Interviewteil durch „Z.“ ersetzt, weil wir das Wort möglichst wenig
reproduzieren möchten. Die Begründung dazu findet ihr weiter unten). Diener: „Für das Ändern von Liedern habe ich nur bedingt Verständnis. Zum Beispiel das Wort Z. in ‚Ich kenne Europas Zonen‘ erhebt die Figur des Z. gegenüber der Obrigkeit. Es gibt eine Geschichte dazu, es haben sich Leute etwas dazu überlegt. Man muss das Wort im Kontext des ganzen Liedes angucken. Im Grunde sollte sich jeder freuen, Z. sein zu dürfen oder jeder kann sich mit dem Lied wie einer fühlen. Das ist das, was es ausmacht. Es sollte aussagen, dass wir alle Z. sind, aber nicht im negativen gemeint, sondern aus einem freiheitlichen Gedankengut heraus“.
Dem können wir ebenfalls nicht zustimmen. Das Z.-Wort ist eine Fremdbezeichnung. Sinti*zze und Rom*nja haben sich niemals selbst so bezeichnet und die meisten Angehörigen der Minderheit lehnen diese Bezeichnung als Z.-Wort als diskriminierend ab. Noch in alten Brockhaus- und Dudenausgaben wird das
Wort von „Ziegenhauer“ abgeleitet und mit „Abschaum“ und „Vagabund“ gleichgesetzt. Der Buchstabe Z wurde Sinti*zze und Rom*nja in den

Konzentrationslagern der Nazis zusammen mit einer Nummer auf die Haut tätowiert. Auch der Zentralrat deutscher Sinti & Roma lehnt diese Bezeichnung ab. Auf ihrer Internetseite findet ihr eine ausführliche Erläuterung zu dem Begriff Z. und warum die meisten der Sinti*zze und Rom*nja diesen Begriff als verletzend und diskriminierend erleben.
Wir stellen uns nicht dagegen, dass die Meinungen eines Pfadis abgedruckt werden, der Happyland (siehe “Exit Racism” von Tupoka Ogette) nie verlassen hat, aber wir hätten uns sehr gewünscht, dass eine Meinung, die Empathie gegenüber Minderheiten in den Vordergrund stellt und eine viel klarerer Kante gegenüber Rassismus und Diskriminierung zeigt auch ihren Platz in der Printausgabe findet.
Wir sind ein mehrheitlich weißer BdP, in dem sich die Mehrheit der Mitglieder wenig bis keine Sorgen um Finanzielles machen muss. Wenn wir unsere vielfältige Gesellschaft auch in unserem Verein breiter einbeziehen und diverser werden möchten, müssen wir uns mehr gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen und darüber aufklären. Denn Stand heute ist leider, dass sich beispielsweise Angehörige der Sinti*zze und Rom*nja sich läääängst nicht bei allen unseren Singerunden wohlfühlen können und wir sie so eher aus unserem Verband ausschließen.
Es ist sehr, sehr schade, dass der tolle Artikel von Isabell Sax und Hinweise zu Rassismus in den Fußnoten verschwunden sind. Wir würden uns wünschen, dass solche Meinungen sichtbarer werden. Ich musste sehr suchen, bis ich diese beiden Fußnoten gefunden hatte und fand es auch sehr schade, dass der Artikel von Isabel Sax nur im Internet zu lesen war und es nicht in die Printausgabe geschafft hat.
Wir würden uns sehr wünschen, dass, wenn schon antiziganistische, diskriminierende Meinungen von Pfadis abgedruckt werden, dass der Artikel der einen darüber aufklärt was daran rassistisch, diskriminierend, sexistisch oder was auch immer ist, ganz fett daneben abgedruckt wird und nicht im Internet oder in den Fußnoten verschwindet. Wenn wir solche veralteten Sichtweisen einfach nur reproduzieren und nur in den Fußnoten darauf hinweisen, wie verletzend solche Erzählweisen für unsere Mitmenschen sein können, dann machen wir eines ganz bestimmt nicht, nämlich: kritisch sein und Verantwortung übernehmen!

Gezeichnet:

Julia van Braak, Stamm Feuerland Emily Pins, Stamm Feuerland
Tim Steska, Stamm Feuerland Rieke Langhans, Stamm Feuerland Finn Eigler, Stamm LEO
Dorian Wolf, Stamm Goldener Reiter JoBBo, Stamm LEO
Atlontis, Stamm Goldener Reiter Mascha Meyenschein, ABG Bankiva Sternchen, Stamm LEO
Kilian Fuchs, Stamm Goldener Reiter

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