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NEUE BRIEFE

Mehr Lagerfeuerkommunikation für alle

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Pfadfinden und Politik hängen zusammen; das haben wir mittlerweile schon oft genug festgestellt. Wie sehr die Pfadfinderschaft aber als auch Organisation in Beziehung zur institutionellen Politik steht und warum wir alle öfter am Lagerfeuer quatschen sollten, erklärt Kilian vom AK Politische Bildung.

Betrachtet man die gegenwärtige politische Weltlage, sollte sich Besorgnis einstellen. Gründe, Anlässe und Entwicklungen gibt es dazu genug. Besonders bedrohlich erscheint die gegenwärtige Tendenz zu ausschließenden und verleumdenden Politikstilen und Rhetoriken, die populistische Politiker*innen in höchste Regierungsämter brachte. Eben diese Entwicklung hat auch unmittelbare Konsequenzen für die Pfadfinder*innenverbände der entsprechenden Länder – und auch für unser eigenes Selbstverständnis als Pfadfinder*innen.

Beispielhaft hierfür ist die Situation in Ungarn: Vor einem Jugendcamp, das zur ungarisch-rumänischen Verständigung ins Leben gerufen wurde, erklärte Viktor Orbán, der ungarische Ministerpräsident, es 2014 zum Ziel, einen neuen Staat zu schaffen: einen illiberalen Staat. Dies ist eine Absichtserklärung, die unserem freiheitlichem Demokratie- und pluralem, also offenem, Gesellschaftsverständnis entgegensteht. Dennoch betonte Orbán vor dem Pfadfinderverband vergangenes Jahr, dass seine Regierung und die ungarischen Pfadfinder*innenwerte und Ideale teilen würden: die Nation, das traditionelle Familienmodell, die christliche Kultur. Wie so viele populistische Politiker*innen beschwört Orbán die Vergangenheit des eigenen Landes und formuliert einen nationalistischen Mythos. In dieses kontinuitätsbehauptende Narrativ integriert er auch die Pfadfinder*innen. Orbán mahnte schließlich zum gemeinsamen Handeln, das nötig sei, da die Moderne das kulturelle Fundament des Landes und der Pfadfinder*innen untergraben würde. Nur durch eine starke Zusammenarbeit zwischen Regierung und Pfadfinder*innen könne die ungarische Nation eine Überlebenschance im 21. Jahrhundert haben.

So befremdlich diese Rede auf die (aller)meisten von uns wirken mag und auch sollte, tut man gut daran, von voreiligen Schlüssen und Verurteilung Abstand zu nehmen. Da wir für eine plurale Gesellschaft eintreten, sollten wir doch den Pfadfinder*innenverbänden, WAGGGS und WOSM, verschiedene Vorstellungen von Gesellschaft und Gemeinschaft wie auch unterschiedliche Ideale und Werte zugestehen. Gerade dies muss man sich in der Zusammenarbeit mit anderen Verbänden immer wieder bewusst machen. Dennoch sind die Entwicklungen in Ungarn nicht zu unterschätzen und lassen auch den dortigen Verband in keinem besonders guten Licht dastehen.

Ungarn ist aber nicht das einzige Beispiel für politische Konstellationen, in denen Pfadfinder*innenverbände gegenüber populistischen Staatsoberhäuptern in irgendeiner Weise Stellung beziehen müssen. So hielt auch Donald Trump 2017 vor den Boy Scouts of America eine denkwürdige Rede.[1] Gleichwohl er eingangs auf seine unverwechselbare Weise zu erkennen gab, nicht über Politik sprechen zu wollen („You want to achieve your dreams, I said, who the hell wants to speak about politics when I’m in front of the Boy Scouts?“), kam er in der 35-minütigen Rede doch auf Politik zu sprechen, indem er beispielsweise die Medien im üblichen Duktus diffamierte („Fake media. Fake news.“), wie auch den Politikbetrieb in Washington („You know, I go to Washington and I see all these politicians, and I see the swamp, and it’s not a good place. In fact, today, I said we ought to change it from the word ‚swamp‘ to the word ‚cesspool‘ or perhaps to the word ‚sewer.‘“). Anders als die ungarische Pfadfinder*innenschaft, zeigten sich die Veranstalter*innen der Boy Scouts bereits vor der Veranstaltung zumindest verhalten besorgt über Slogans aus dem Wahlkampf und riefen auf ihrer Webseite zu respektvollem Verhalten auf.[2] Trotzdem: Die Menge skandierte „USA, USA, USA“.

Dass der Präsident der Vereinigten Staaten anlässlich des National Jamborees vor den Boy Scouts of America spricht, hat Tradition. In der Vergangenheit war dies jedoch eher ein Anlass für prätentiöse, an inszenierter Wichtigkeit kaum zu überbietende Sonntagsreden über Werte und Tugenden, Gemeinschaft und Anstand. Man kann nicht abstreiten, dass es dabei auch zu einer gewissen Überhöhung kam. Emblematisch hierfür ist die Rede von Präsident Harry Truman im Jahre 1950, der das soziale und letztlich auch politische Miteinander der Pfadfinder*innen als vorbildlich hervorhob: „When you work and live together, and exchange ideas around the campfire, you get to know what the other fellow is like. That is the first step toward settling world problems in a spirit of give and take, instead of fighting about them.“

Das Lagerfeuer als Symbol für das soziale und friedliche Miteinander. Treffend, finde ich. Es zeichnet die Pfadfinder*innen weltweit aus und verbildlicht die Idee einer Gemeinschaft, die sich austauscht und aufeinander eingeht.

Treffend und auf dieselbe symbolische Deutungskraft rekurrierend finden das nun leider auch eher dubiose bis gefährliche politische Gestalten. Für manche, gestern wie heute, stellen sich unsere respektvollen Umgangsformen als der Karikatur fähig, schlicht verweichlicht und völlig ungeeignet für die als hart stilisierten Herausforderungen des Politischen dar. In diesem Sinne muss das folgende Zitat von Newt Gingrich, einem US-Amerikanischen Politiker der 1970er, verstanden werden:

I think one of the great problems we have in the Republican Party is that we don’t encourage you to be nasty. We encourage you to be neat, obedient, loyal and faithful and all those Boy Scout words, which would be great around a campfire but are lousy in politics.

Dieses Zitat spricht nicht nur für sich als Aufruf zu einem fragwürdigen, harschen, Umgang in der Politik. Es wird auch von den Harvard Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem Bestseller How Democracies Die als symptomatischen Ausgangspunkt angeführt, an dem sie zeigen, wie es in der amerikanischen Gesellschaft und auch Parteienlandschaft zu den verhärteten politischen Fronten kam, die sich bis heute zuspitzen. Diese Spannungen sind so stark und reich an Auseinandersetzungen geworden, dass ein (gesellschafts-)politisches Miteinander der sich gegenüberstehenden Gruppen kaum mehr vorstellbar ist. Mehr noch: Die Wahl Donald Trumps und seine Art der Regierung sind mit all ihren demokratiegefährdenden Potentialen erst durch diese Umstände möglich geworden. Es fehlt der Wunsch zum respektvollen Austausch und der Wille sich Herausforderungen gemeinsam stellen zu müssen.

Gerade dieser Wunsch macht das Pfadfinder*innensein aber im Kern aus. Vor diesem Hintergrund möchte ich uns empfehlen, das Lagerfeuer und den Charme seiner Romantik auch als soziale Symbolik hochzuhalten und zu genießen. Angesichts der bedrohlich wirkenden Entwicklungen in der Welt muss man die Idee des Miteinanders in aller Vielfalt und Pluralität leben. Im Horizont vermehrter hasserfüllter und verleumdender Rhetorik soll dies hier, im besten und inklusivsten Sinne, Ausdruck des Wunsches für ein bisschen mehr Lagerfeuerkommunikation für alle sein.

Kilian Lüders, Stamm Cosuaneten, München, LV Bayern

[1] time.com/4872118/trump-boy-scout-jamboree-speech-transcript/

[2] „This includes understanding that chants of certain phrases heard during the campaign (e.g. “build the wall,” “lock her up”) are considered divisive by many members of our audience, and may cause unnecessary friction between individuals and units. Please help us ensure that all Scouts can enjoy this historical address by making sure that your troop members are respectful not only of the president, but of the wide variety of viewpoints held by Scouts and Scouters in the audience tonight.“ www.summitbsa.org/details-presidential-visit-monday

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