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NEUE BRIEFE

Politik gehört nicht ans Lagerfeuer

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Seit einiger Zeit rückt die Diskussion, ob unser Bund politischer werden soll, (wieder) mehr in den Vordergrund. Es gibt die AG Verbandsentwicklung, die in ihrer Umfrage auch diese Frage an die Mitglieder stellt.

Nur die wenigsten werden sich aus eigener Erinnerung an die Ereignisse des Jahres 1971 erinnern können. Aber wer sich für die Geschichte des Bundes interessiert, wird unweigerlich feststellen, welche einschneidenden Folgen eine ähnliche Politisierungsdebatte schon einmal hatte. Sie hat zu Narben geführt, die heute noch in der deutschen Pfadfinder*innenlandschaft zu sehen sind. Ohne diese hätten wir beispielsweise mit unseren Freund*innen vom DPV all die Jahre gemeinsam am Lagerfeuer gesessen und würden wohl die gleiche Kluft tragen. Lasst uns kurz zurückschauen.

Das Gründungsdatum unseres Bundes in seiner heutigen Form ist der 1. Januar 1976, als die auf der Gründungsversammlung am 1. und 2. November 1975 verabschiedete Satzung in Kraft trat und der Zusammenschluss von „Bund Deutscher Pfadfinderinnen“ (BDPi) mit dem „Bund der Pfadfinder“ (BdP) zu unserem heutigen „Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder“ (BdP) offiziell wurde. Um diesen Zusammenschluss zu einem koedukativen Bund war mehrere Jahre gerungen worden.

Beide – sowohl die Mädchen und Frauen des BDPi als auch die Jungen und Männer des BdP – haben aber Wurzeln, die viel weiter in die Vergangenheit der deutschen Jugend- und Pfadfinder*innenbewegung reichen. Diese Wurzeln wurden vielleicht nicht überall gekappt, aber doch sehr erheblich beschnitten, als die Faschisten Jugendbewegte, Bündische, Pfadfinder*innen gleichschalteten bzw. verboten und verfolgten. Nach dem Verbot der Pfadfinderei während der Naziherrschaft wurden ab 1945 erst lokal einzelne Stämme – teils noch in der Illegalität – (wieder)gegründet, erst nach 1948 fand in den westlichen Besatzungszonen offiziell Pfadfinder*innenarbeit statt. Die größten nicht konfessionell gebundenen Bünde waren der „Bund deutscher Pfadfinder“ BDP und der „Bund Deutscher Pfadfinderinnen“ BDPi.

Während die Pfadfinderinnen des BDPi recht unaufgeregt ihren Weg gingen, kam es im BDP immer wieder zu Richtungsdiskussionen, die auch zu Austritten aus dem Bund führten. Hier seien die „Pfadfinderschaft Grauer Reiter“ und der „Pfadfinderbund Großer Jäger“ genannt.

Im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche Mitte/Ende der 1960er Jahre traf die Auseinandersetzung um den „richtigen“ Weg auch den BDP mit voller Wucht. Sollte der BDP ein politischer, sozialistischer, basisdemokratischer Jugendverband werden oder weiter zu den – von manchen als altbacken empfundenen – Pfadfinder*innenwerten, wie Kluft, Versprechen und Pfadfinderregeln, stehen?

Der lange und erbittert geführte Streit führte dazu, dass viele den BDP verließen – ganze Landesmarken traten aus, gründeten die „Deutschen Pfadfinder“ und den „Deutschen Pfadfinderbund“ DPB, die sich später zum „Deutschen Pfadfinderverband“ (DPV) zusammenschlossen (auch wenn der DPB später wieder austrat). Bereits begonnene Gespräche mit den Pfadfinderinnen des BDPi über eine Fusion wurden abgesagt. Die Auseinandersetzungen im Bund zerrissen langjährige Fahrtenfreundschaften, die jeweils andere Seite und erst recht diejenigen, die den Bund verließen, waren zu Feind*innen und Verräter*innen geworden. Die Anhänger*innen der Politisierung des Bundes setzten sich schließlich bei der Vorstandswahl 1971 durch. Die bündisch-pfadfinderisch orientierten Stämme der sogenannten „Arbeitsgemeinschaft“ verließen den BDP und gründeten den „Bund der Pfadfinder“ BdP.

Der Rest ist schon erzählt: Die Jungen des BdP und die Mädels des BDPi gründeten 1976 unseren heutigen Bund.

Die Diskussionen um die Politisierung des BDP haben erstmals in der deutschen Pfadfinder*innengeschichte einen traditionsreichen Bund, dessen Wurzeln bis in die deutsche Jugendbewegung reichten, gespalten, regelrecht auseinandergerissen: Im BDP war nun eine politische Anschauung als Voraussetzung für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen vorgegeben.

Vielleicht wird dadurch verständlich, dass viele, die sich unserer Bundesgeschichte bewusst sind, Angst vor dieser Diskussion haben. Solche Diskussionen werden oft in den Vorstandsgremien der Landesverbände oder des Bundes geführt. Das ist ganz normal, denn dort sitzen Menschen, die sich zusätzlich zur oder über die tägliche Stammesarbeit hinaus engagieren wollen. Oft, so nehmen wir dies auch derzeit wahr, kommt die Diskussion gar nicht an der Basis an oder erst sehr spät, wird vielleicht auch erst gar nicht so wahrgenommen – die Probleme an der Basis sind teilweise einfach anderer Natur, ohne hier das eine über das andere Stellen zu wollen.

Wäre es denn jetzt Zeit, die alte Diskussion neu zu führen und diesmal anders zu entscheiden? Hat der BdP 1971 einfach falsch entschieden, als er sich gegen eine Politisierung ausgesprochen hat?

Manches spricht dafür: Unsere Welt brennt an allen Ecken und Enden. Nicht nur dieses unselige Coronavirus, auch die menschengemachte Klimakatastrophe wird fatal in unser aller Leben eingreifen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, wir vernichten scheinbar unbelehrbar unsere Lebensgrundlage – das und vieles mehr schreit geradezu nach gesellschaftlichem und politischem Engagement. Lasst uns etwas tun, möchte man rufen, statt gemütlich am Lagerfeuer zu sitzen und zuzusehen, wie unsere Welt den Bach runtergeht.

Politisches Engagement hat unstreitig seine Berechtigung, ist unstreitig bitter nötig. Aber hat politisches Engagement bei uns seinen Platz?

Was tun wir denn, was ist unsere „Aufgabe“? Wir helfen jungen Menschen, zu mündigen Bürger*innen zu werden. Wir sind Vorbilder, vermitteln unsere Werte. Mündige Bürger*innen engagieren sich. Auch Pfadfinder*innen sollten sich engagieren.

Allerdings darf dies nicht in Bezug zu unserer Rolle als Stufenführung stehen. Der Bund ist nicht politisch. Wir beeinflussen die Kinder und Jugendlichen ohnehin sehr stark durch unser Tun und Lassen. Ziel sollte es sein, zu helfen, dass Kinder und Jugendliche IHREN eigenen Weg gehen und nicht, ihnen UNSEREN Weg vorzugeben. Wir formen Kinder und Jugendliche, indem wir ihnen Werte vermitteln, indem wir sie lehren, hinzuschauen, sich einzusetzen für ihre Belange. Das fängt klein an mit der Diskussion der Wölflinge, warum ausgerechnet sie jetzt Schokokekse verdient haben oder endlich auch einmal alleine bestimmen wollen, wann es in die Schlafsäcke geht. Wir gehen neben oder hinter ihnen, halten die Hand über sie, möglichst so, dass sie es nicht merken, aber wir geben ihnen nicht unsere politischen Überzeugungen mit – sehr wohl aber unsere pfadfinderischen Werte.

Natürlich ist nichts unpolitisch, schon die Werte, die wir vermitteln, lassen sich trefflich diskutieren. Aber auf diese haben wir uns alle geeinigt und diese Werte nehmen unsere Pfadis mit ihrem Versprechen – idealerweise aus freien Stücken und nicht, weil das Halstuch so schick ist – an. Ja, viele Aktionen atmen politischen Geist, sei es die Umweltaktion der Wölflinge, die Teilnahme der Sippe an einem Gedenktag für politisch Verfolgte oder der Besuch der Runde in einem ehemaligen Konzentrationslager. Aber diese Aktionen entstehen an der Basis aus dem Stamm heraus. Vielleicht beeinflusst und inspiriert durch den Input aus Landes- oder Bundesverband, doch durch die Verwurzelung an der Basis besitzen sie eine eigene Authentizität und Wertigkeit, da sie sich aus den Überzeugungen der Handelnden speisen. Diese Wertigkeit und Authentizität entstehen gerade nicht durch eine politische Vorgabe „von oben“.

Denn wir sind als Bund nicht nach außen gerichtet, um politische Veränderungen zu bewirken. Natürlich, in gewissem Maße tun wir dies auch, setzen uns auch in unserem sozialen Umfeld für unsere Werte ein. Wir sagen, welche Werte wir vertreten und welche Anliegen uns beschäftigen. Wir gehen doch immer an die Stellen, wo wir uns für unsere Werte und Anliegen stark machen können. Aber wir vergessen auch nicht, dass der BdP definitiv unparteiisch ist. Wir gehen nicht auf die politische Bühne und buhlen um Zustimmung oder nähern uns einer Partei. Wir gehen auf die Politik zu im Rahmen unserer Öffentlichkeitsarbeit (Bürgermeister*innen, Stadt- und Landräte) und stehen für unsere Konzeption ein. In der Gesellschaft fallen wir auf und zeichnen uns durch eine sehr gute und unverzichtbare Arbeit aus. Der hiermit gewonnene Stellenwert befähigt uns stellenweise auch zur Einflussnahme.

Aber hierbei verlieren wir nie unseren Auftrag aus den Augen. Denn als Erziehungsbewegung sind wir nach innen, auf unsere Gemeinschaft gerichtet. Die Gemeinschaft als DAS Kernelement unseres Stammes und Bundes. Wir gestalten diese Gemeinschaft, das Miteinander aktiv durch unsere Traditionen und Bräuche – sie alle sind die Erscheinung des „Seins“ unserer Gemeinschaften. So ähnlich sie sich manchmal sind, so unterschiedlich können sie auch sein. Der Bund ist bunt – und dies sollten wir als Wert an sich wahrnehmen und schützen. Eine Politisierung würde dem deutlich entgegenwirken.

Genauso wichtig wie das Miteinander ist die Ergebnisoffenheit. Wir lehnen Vorurteile ab, wir versuchen, offen auf andere Menschen zuzugehen. Wir lernen voneinander, ohne einander zu belehren. Und vor allem vermitteln wir „Du bist gut so, wie du bist und ich bin gut so, wie ich bin.“ und nicht „Du musst so werden, wie ich bin.“. Wäre uns dabei eine Politisierung nicht eher hinderlich?

Letztlich sind die Stämme der Bund. Der Bund ist nicht eine „Bundesleitung“, sondern die Verbundenheit der Stämme und der Menschen untereinander – über alle Unterschiede hinweg und gerade deshalb so spannend und wertvoll.  Der Bund ist keine „Instanz“, die Pfadfinderei einer bestimmten Ausprägung z.B. scoutistischer oder bündisch-jugendbewegter Art vorgibt. Der Bund existiert für die Stämme und NUR aufgrund der Stämme, nicht andersherum.

Der BdP sollte stolz darauf sein, ein offener, nicht politischer Bund zu sein. Und wir dürfen zu Recht stolz darauf sein, wenn aus unseren Reihen viele zunächst stille Kinder und schüchterne Jugendliche zu mündigen Bürger*innen werden – die bestimmt in Teilen (oder gar in Gänze) eine andere Auffassung haben als wir selber, die eben gelernt haben, IHRE EIGENE Meinung zu vertreten.

Der Bund ist nicht politisch, aber wir helfen Menschen, sich so zu entwickeln, dass sie ihre eigene politische Meinung entwickeln können. Wir nehmen in unserer Pfadfinder*innenarbeit unsere politische Überzeugung bewusst zurück, ohne unsere pfadfinderischen Werte aufzugeben.

Ja, engagier dich für das, was dir wichtig ist. Tritt neben der Pfadfinderei in Parteien, Verbände, Organisationen, Gewerkschaften ein. Es ist nötig und wir allen können stolz darauf sein, wenn dies viele aus unserem Bund tun. Denn sie tragen unsere Werte hoffentlich ein Stück weit in ihren Herzen mit sich. Aber lasst uns Kinder und Jugendliche nicht wie eine Hecke zurechtstutzen, indem wir hier und da etwas abschnippeln, sie in eine Form zwingen, die UNSEREN Vorstellungen entspricht, wie diese Kinder und Jugendlichen sein sollten.

Bonsaibäumchen sind wunderhübsch anzusehen und mit viel Liebe und Geduld gepflegt worden. Aber sie werden klein gehalten und in ein enges Korsett gepresst. Kinder und Jugendliche im BdP sollen große und starke Bäume werden mit wilden, weit ausgreifenden Kronen, und alle sollen einzigartig sein: Vielleicht mit harter, knorriger Rinde, wer mag, auch mit Dornen. Aber natürlich und einzigartig. Ist das nicht genug Anspruch für unsere Arbeit?

Unsere Bitte: Informier dich, diskutiert das Thema vor Ort und beteilige dich an der Umfrage.

Unser Wunsch: Lasst uns die Politik aus dem Bund raushalten.

 

Christian Kuck (Tomte)

Stamm Sirius, Köln

LV Nordrhein-Westfalen

 

Daniel Pathmann (VattiCrow)

Stamm Nebelkrähen, Morsbach – Lichtenberg

LV Nordrhein-Westfalen

 

Foto: Paavo Blofield

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Was denkst du?

  • kison

    Moin!
    Vielen Dank für dieses interessante Meinungsstück! Auch wenn ich beim Lesen der Überschrift dachte: „Och nee, nicht schon wieder Leute, die denken, man könne unpolitisch sein!“, muss ich gestehen, dass ich im Großen und Ganzen zustimmen muss: Natürlich dürfen wir Älteren, die über 25 nicht mehr Zielgruppe sind, sondern dieses ominöse “Oben”, die Kinder und Jugendlichen nicht wie Bonsaibäumchen zurechtstutzen (großartiges Bild!). Und ich fand es sehr erfrischend zu lesen, dass ihr politische Bildung durchaus als Teil unserer erzieherischen Aufgabe anzusehen scheint.
    Zwar finde ich als Historiker, der sich mit der Geschichte der Pfadfinder*innen- und Jugendbewegung nicht so wenig auskennt, einige Stellen etwas verkürzt. Und auch, dass ich mich zwischendurch gefragt habe: Wie kann der Bund „nicht politisch“ sein, wenn doch „nichts unpolitisch“ sein kann? – Darüber will ich gar nicht sprechen.
    Mich wundert allerdings, dass ihr euch anscheinend vorstellt, es gäbe irgendwo in den Stämmen eine Basis aus Kindern und Jugendlichen und eine scheinbar davon völlig losgelöste, abgehobene, wasserkopfartige Gremienebene. Ich treffe diese Vorstellung öfter an, und sie entspricht einfach überhaupt nicht meiner persönlichen Erfahrung, die ich seit 15 Jahren in (fast) allen Ebenen machen durfte.
    Natürlich haben wir im BdP mehrere Ebenen. Ein so großer Verband kann anders sich ja gar nicht organisieren. Als ich vor über 15 Jahren Wölfling war, war ich in einem kleinen DPV-Verband. Den gibt es nicht mehr, unter anderem weil es keine funktionierende Gremienebene mehr gab, die verbliebenen Stämme gingen in einem anderen DPV-Verband auf. Und das wäre es wohl auch, was den BdP-Stämmen blühte (das oder einen neuen Bund gründen), löste sich der BdP auf. Angesichts der Infrastruktur, die die Gremien liefern (Ausbildung, Versicherungen, rechtlicher Rahmen, pädagogische Beratung …), kann man meiner Meinung nach mit einigen Einschränkungen also durchaus behaupten: Nicht nur wäre der BdP ohne seine Stämme nichts, sondern wären auch die Stämme ohne den BdP erstmal nichts (bis sie eben sich in einem neuen Bund wiederfinden).
    Seltsam finde ich aber die Vorstellung, dass zwischen der Gremienebene und der „Basis“ eine unüberbrückliche Kluft sich befände. Seltsam ist nicht nur das in einem Themenheft zum Projekt „Endlich wieder raus“, das auf eines der wohl größten Probleme an der „Basis“ der jüngeren Geschichte reagiert. Sondern seltsam finde ich das auch, weil fast jede*r, die*n ich aus der Gremienarbeit kenne, regelmäßig Kontakt zur Basis hat. Ich bin nicht nur in zwei Bundesarbeitskreisen, sondern organisiere zusammen mit meiner 16–20-jährigen Stammesführung auch ein Jubiläumslager, bei dem wie immer Gruppenleitungen fehlen. Andere sind neben ihrer Gremienarbeit noch Sippen- oder Meutenführungen. Sind wir dieses „Oben“, weil wir in Gremien sitzen, oder sind wir die „Basis“, weil wir Stammesarbeit machen?
    Mich wundert auch, dass die „Basis“ keinerlei Möglichkeit zu haben scheint, auf die Gremien einzuwirken, sonst kennten letztere „die Probleme an der Basis“ ja besser. Kann es denn nicht sein, dass die „Basis“ selbst politische Impulse setzt? Dass sie sich von „oben“ Unterstützung darin wünscht? Ich denke an Meggys Text aus den letzten NB (https://www.pfa.de/neue-briefe/meute-wir-muessen-reden/). Ich denke auch daran, dass es 2015 zuerst Stämme waren, die mit den Angekommenen arbeiteten und sich von uns (ich war damals im nds. Landesvorstand) Unterstützung wünschten, auch politische. Ich denke daran, dass ein junger Stafü zu mir kam und sagte, er wisse nicht, wie er mit der AfD im Jugendausschuss seiner Gemeinde umgehen soll. Ich denke auch daran, dass wir in der nds. Landesleitung ergebnislos darüber diskutierten, ob man denn bei Fridays for Future mitmachen könne oder ob das „zu politisch“ sei, während die „Basis“ schon längst in Kluft und Halstuch auf der Straße stand und bei der nächsten Landesversammlung einen Antrag stellte, die Ziele von Fridays for Future zu unterstützen, dem sich dann vor allem Erwachsene (also über 25-jährige) entgegenstellten, weil es zu politisch sei. Ich denke daran, wie Leute im Rainbow-Discord sagen, dass die Erwachsenen in ihrem Stamm es immer unterdrücken, wenn sie z.B. einen Regenbogenbutton tragen wollen oder über B-Ps Kolonialvergangenheit sprechen wollen, weil das zu politisch sei.
    Kurzum: Ständig begegnet es mir, dass diese „Basis“ von uns einfordert, die politisch-ethischen Maßstäbe, die sie im BdP gelernt haben, auch an den BdP anzulegen. Sie sind dann „mündige Bürger*innen“ geworden und wollen das auch im BdP sein – im Rahmen und auf Basis unserer Regeln. Ich fände es unfair, vermessen und bigott, diesen Wunsch, diese Erwartung der „Basis“ einfach zu ignorieren oder sogar zu unterdrücken. Genau damit entmündigen wir sie nämlich wieder.
    Auch wenn mir also ständig Politik von der „Basis“ entgegenschlägt, habe ich noch nie gehört, dass jemand in den Gremien oder an der Basis „die alte Diskussion neu […] führen“ will – nicht einmal diejenigen, die sich selbst als Sozialist*innen bezeichnen und sich in entsprechenden Parteien und Initiativen engagieren. Eine „rote Gefahr“, wie sie die CDU in den 1950er Jahren imaginierte, gibt es nicht. Mir begegnet es aber sehr oft, dass Zeitzeug*innen der Zeit um 1970 sie drohen sehen. Mir scheint das aber mehr die „Angst“ zu sein, die ihr selbst ansprecht, die aber mit der Realität in den Gremien und an der „Basis“ recht wenig zu tun hat.
    Denn darauf zielt auch die Frage in der Umfrage überhaupt nicht ab. Sie fragt (z.B. die 14–20jährigen), ob „wir uns als Pfadfinder*innen (im BdP) zu politischen und gesellschaftlichen Themen […] äußern“ sollten. Nichts daran deutet darauf hin, dass der BdP eine kommunistische Kaderschmiede werden könnte. Wer will das denn auch? Diese Frage ist da, weil politische Themen im BdP seit Jahren von der „Basis“ ausgehend diskutiert werden, weil deswegen die Diskussion über Pfadfinden und Politik auch seit Jahren da ist, und sie ist da, um eben einmal eine Datenbasis (aus der „Basis“) zu haben, auf der man diese Diskussion führen kann. Denn meine, und nicht nur meine, Erfahrung ist, dass es nicht die „Basis“ ist, die diese Metadiskussion führt, sondern die Erwachsenen, die Älteren über 25; die „Basis“ selbst engagiert sich politisch, auch als Pfadfinder*innen, weil das für sie dazu gehört und sich für sie aus unseren Werten und Regeln ergibt. – Ob diese These stimmt, kann auch die Umfrage zu beantworten helfen.
    Angesichts dessen finde ich es ehrlich gesagt überhaupt nicht in Ordnung, was ihr mit eurem Text versucht, nämlich die Meinungsbildung der „Basis“ in Bezug auf diese Umfrage zu beeinflussen. Da die NB vor allem von Erwachsenen und den Gremien gelesen wird, also gerade nicht von „Basis“ (die haben dazu oft gar keine Zeit, die versuchen, ihren Stamm am Laufen zu halten), droht das die Umfrageergebnisse sogar zu verzerren – und zwar zu Ungunsten der „Basis“. Einerseits seht ihr eine drohende „politische Vorgabe ‚von oben‘“ (wie auch immer ihr darauf kommt), andererseits tut ihr genau das selbst, indem ihr am Ende mit dem Zusammenhang eurer Bitte und eures Wunsches mehr oder weniger dazu auffordert, bei der Umfrage dafür zu stimmen, „die Politik aus dem Bund raus[zu]halten“. Und ja: Ihr gehört genauso zu diesem „Oben“ wie ich, indem ihr mit der Autorität eures Alters euch an die Mitgliederschaft wendet.
    Zuletzt noch eine Frage: Wenn ihr keine Politik am “Lagerfeuer” wollt, sollten wir dann nicht Lieder wie “Nachts steht Hunger” aus unseren Singerunden verbannen? An unseren Lagerfeuern ist Politik allgegenwärtig in unseren Liedern, allein in der aktuellen pfade werden auf S. 12 ca. 7 Lieder genannt, die mehr oder weniger politisch sind. Beeinflusst das unreflektierte Singen von politischen Liedern nicht viel stärker Kinder und Jugendliche? Oder würde erst das Darüber sprechen die Politik ans Lagerfeuer bringen? Ich hoffe doch, dass ihr das nicht meint.

  • Chrise

    Ich habe den Artikel mit Interesse gelesen. Dabei wirkt er auf mich fast wie eine Reaktion auf eine versuchte Politisierung von Seiten der Bundesleitung. Da ich nicht mehr so aktiv im Geschehen stecke frage ich mich: Habe ich was verpasst? Wurden die Stämme aufgefordert, Wahlkampf zu machen? Politische Tendenzen habe ich immer mehr als etwas erlebt, was vor Ort in den Stämmen geschieht. Dabei stoße ich mich an dem Begriff “Basis”. Wie ihr richtig schreibt, sind wir ein Bund. Dabei unterscheiden wir uns in enormen Maße von einem Verband. Wir alle gestalten die Bundesarbeit. Ich teile die Auffassung, dass nichts unpolitisch sein kann.Wie kann man da aber auf die Idee kommen, dass Politik nicht ans Lagerfeuer gehört? Die Kritik, die für mich volkommen richtig und angebracht ist, geht doch in eine andere Richtung: Wenn ich als Stammes- oder Sippenführer entscheide, mit meinem Stamm politisch zu werden, d.h. eine Demoteilnahme als Stammesprogramm einzuplanen, ist das gefährlich. Politische Bildung gehört zu unserer pädagogischen DNA. Politische Bildung in der Schule richtet sich nach den Prinzipien des Beutelsbacher Konsens: Überwältigungsverbot (d.h. kein Überrumpeln, kein Überstülpen von Meinungen), was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch in der Bildung kontrovers dargestellt werden und die klare Zielsetzung, eine politische Situation analysieren und im Sinne der eigenen, individuellen Interessenlage beeinflussen zu können. Grundsätzlich sollte sich auch die politische Bildung im BdP an diesen Prinzipien orientieren. Das bedeutet aber nicht, Diskussionen zu vermeiden. Ganz im Gegenteil! Vielmehr sollten wir Gruppenleitungen viel stärker für ihre große Vorbildfunktion sensibilisieren und dafür, keine Bonsaibäumchen zu stutzen. Am aktuellen Beispiel der Diskussion um die Pride-Beleuchtung der Allianz-Arena kann man dabei sehr schön die Konfliktlinien der Frage sehen, ob eine Maßnahme, die offenbar gegen Diskriminierung und für Menschenrechte steht, in dieser Hinsicht überhaupt zu politisch ist. Würde es nicht sehr gut unseren Werten und Regeln entsprechen, uns für die Pride-Bewegung zu engagieren? Für Geflüchtete? Für Klimaschutz und damit gegen Autobahnen, Schlachtfabriken und Kohlekraftwerke? Wo liegt die Grenze? Das muss immer wieder von einer Gruppe ausgehandelt werden, nicht auf Leitungsebenen, sondern in den Gruppen selbst. Ohne Überwältigung. Das geht auch Kindgerecht, erfordert aber einen sensiblen und teilweise kindgerechten Umgang. Ein Gruppenmitglied, dass nicht möchte, dass die Sippe für FFF demonstrieren geht, muss respektiert werden. Was aber auch klar ist: Jeglicher Form von Extremismus, Gewalt, Diskriminierung und Hass muss widersprochen werden. Gerade auch an unseren Lagerfeuern. Insofern finde ich es auch fraglich, eine vollkommene Neutralität gegenüber Parteien zu fordern. Ein Beispiel, das auf der Hand liegt: Die Positionen der AFD sind nicht mit den Werten des BdP zu vereinen. Es ist nicht immer leicht zu sehen, ob die politischen Positionen von einzelnen Mitgliedern oder vielleicht auch ganzer Gruppen zu extrem sind, um mit unseren Werten vereinbar zu sein. Das lässt sich aber nicht herausfinden, wenn man aus Angst vor einer Spaltung nicht darüber spricht sondern suggeriert: Wir akzeptieren deine Meinung. Der BdP war immer ein Ort politischer Diskussionen, wenn auch mit weniger einschneidenden Folgen wie seine Vorgänger. Ein Bund, der zu verantwortungsvollen und individueller Persönlichkeitsbildung beitragen möchte, sollte das nicht als unerwünscht ansehen. Politische Kontroversen sind in unserer Gesellschaft omnipräsent. Damit gehören sie für mich auch ans Lagerfeuer.

  • Malte

    Hallo Tomte, Hallo VattiCrow,

    Euer Artikel spricht mir aus der Seele, vielen Dank dafür.

    @Chrise: Ich vermute einfach mal, dass Du wirklich etwas verpasst hast 🙂
    Es gab auf einer der letzten BVs diesen Antrag: https://www.pfa.de/bund/workshop-bv-antrag-bdp-als-politischer-akteur/

    Natürlich sind wir nicht unpolitisch, doch wir sind kein politischer Akteur. Ausnahme mag sein beim Handeln im ureigensten Interesse, wenn es z.B. um Zuschüsse etc geht.
    Ansonsten gleicht unsere Aufgabe der eines Lehrers, junge Menschen zu verantwortungsbewussten Erwachsenen zu erziehen. Dazu gehört es sicherlich, sich mit politischen Themen zu beschäftigen und diese von beiden Seiten zu beleuchten.
    Sobald wir eine einseitige Stellungsname abgeben, verlieren wir jedoch unseren Status als Lehrer/Erzieher und können unsere Aufgabe nicht mehr wahrnehmen.

    Das Beispiel der Pride Bewegung: Hier können/müssen wir glaube ich uns auf einem schmalen Grat bewegen.
    Es ist meiner Einschätzung nach ein großer Unterschied z.B. ein gleichlautendes eigenes Statement abzugeben, oder zu sagen wir unterstützen die Ziele einer fremden Organisation.
    Wo ist der Unterschied:
    Wenn unser Statement lautet, dass wir die Ziele einer fremden unabhängigen Organisation unterstützen, begeben wir uns damit ungewollt in eine Art politischer Abhängigkeit. Denn die Ziele dieser Organisation können sich ändern und wir unterstützen sie zunächst immernoch…
    Kopieren wir das Statement (gerne auch mit Quellenverweis 🙂 ) machen wir genau das nicht und bleiben unabhängig-

    Doch wo ist die Grenze, wer ist der Richter,…
    Chrise du schreibst “Für Klimaschutz und damit gegen Autobahnen”
    Also ich bin sehr für Klimaschutz, und ich glaube wir brauchen sehr radikale Maßnahmen um diesen zu erreichen. Aber ich bin nicht gegen Autobahnen….
    Oder ein zweites Beispiel: Ich bin für die absolute Gleichberechtigung der Geschlechter, aber das Gendern halte ich für Kontraproduktiv…
    (Um einen Abschweifen vorzubeugen: dies sind nur Beispiele, wenn sich auch meine Meinung wiederspiegeln, die Inhaltlich nicht hier diskutiert werden müssen)
    Hier steckt das Dilemma. Und deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein.
    In den Zielen stecken vermutlich wesentlich mehr Übereinstimmungen als in den Wegen dahin.
    Unsere pfadfinderischen Werte begründen sich primär auf unsere Regeln. Daraus lassen sich von ganz alleine Ziele Ableiten, die einen sehr aktuellen politischen Bezug haben: Umweltschutz, Gleichberechtigung,….
    Sobald wir aber anfangen Wege dahin festzulegen überschreiten wir die feine Grenze. Wir sind dann keine Erzieher mehr, die junge Menschen zu selbsbewusten offenen Erwachsen erziehen. Es gibt schließlich immer verschiedene Wege, und diese dürfen wir nicht vorgeben. Wenn wir unsere Aufgabe gut machen, werden unsere “Schüler” selber den besten Weg für sich erkennen und ans Ziel kommen.

  • Fuchs (Andrea Ries)

    Viele meiner Gedanken zum Artikel wurden hier schon aufgeschrieben, auch ich bin der Ansicht, dass politische Diskussionen im BdP ganz natürlich stattfinden und auch stattfinden sollten, und sehe da die Gremien in der Verantwortung Impulse aus dem Bund aufzunehmen und wo es geht zu unterstützen (wie kison das schon sehr treffend beschreibt, hier decken sich unsere Erfahrungen sehr).
    Ich sehe im Gegensatz zu Malte (wenn ich dich richtig verstehe), kein Problem darin, wenn sich der BdP in einigen Aufrufen bzw Forderungen diversen Bewegungen anschließt, z.B. Fridays for Future. Auch solche Bewegungen sind alles andere als starre Organisationen und vielmehr Räume, in denen kontroverse Diskussionen stattfinden. Ich denke nicht, dass wir uns einschränken, wenn wir einzelne Forderungen öffentlich teilen. Natürlich muss man damit vorsichtig sein, wem man sich da in was anschließt, meiner Erfahrung nach hat das bisher aber gut geklappt.
    Ich habe in den letzten Jahren immer wieder Punkte gehabt, an denen ich das Gefühl hatte in meinem Engagement als Pfadfinderin an Grenzen zu stoßen. Da waren auf der einen Seite die Werte, die mir vermittelt wurden, z.B. durch unsere großartigen Regeln, und auch durch das ideal eines freien Lebens mit einer Neugierde und Offenheit für die Welt und einem kritischen Blick auf die Gesellschaft, wie wir es auch in vielen Liedern besingen (die Lieder, die ich wirklich gerne und aus Überzeugung singe ;-)). Und dann gibt es immer wieder Kritik, wenn Menschen aus dem Bund nun diese Regeln und Ideale beim Wort nehmen und danach leben und den Wunsch verspüren, die Welt zu gestalten und dabei auch in den Bund hineinzuwirken. Ich bin über jeden Freiraum im Bund froh, in dem ich unser Miteinander gestalten kann und sehe da eine positive Entwicklung. Ich verstehe tatsächlich immer noch nicht, was genau hinter dieser Kritik steht, dass der Bund zu politisch werde. Sollen wir keine geflüchteten Kinder in unsere Gruppen aufnehmen und unsere Mitglieder darüber bilden, was das bedeutet? Sollen wir die Kritik an der kaum stattgefundenen Aufarbeitung von Kolonialverbrechen ignorieren, obwohl wir als Bewegung da ein Erbe mittragen? Sollen wir uns daran abarbeiten unseren persönlichen Konsum umzustellen, die Glühbirnen in Stammesheimen umschrauben und bio einkaufen, Zugfernreisen buchen, wodurch die Kosten für unsere Aktionen steigen und uns im Stillen ärgern, dass wir so gegen den Klimawandel nicht ankommen? Sollen wir Mitgliedern, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Diskriminierung ausgesetzt sind, nicht einen bestärkenden und sicheren Raum bieten und da entschieden zusammenstehen? (Die Liste endet hier natürlich nicht.)
    Meine Fragen sind durchaus ernst gemeint, denn immer wieder kommt Kritik und als eine politisch aktive Person im Bund und auch als aktive Gruppenleitung (“Basis”) möchte ich sie verstehen. Ich erwarte nicht, dass jedes Mitglied sich mit den Themen auseinandersetzt, die ich wichtig und interessant finde. Ich möchte aber, dass sie ihren Platz im Bund haben und Impulse derer, die ihre Zeit und Energie investieren, in die Tiefe zu gehen, aufgenommen und ernst genommen werden. Ich selbst beschäftige mich auch nicht damit, wie ich jetzt die statisch perfekte Jurtenburg hochziehen kann, aber ich freue mich sehr, wenn sie steht und haue die Heringe in den Boden um dort abends am Feuer zu singen.

    Ein weiterer Gedanke: Meiner Ansicht nach müssen wir uns eigentlich noch besser bilden und noch kritischer sein. Ich erlebe immer wieder, dass es Kritik gibt, wenn der BdP sich hinter die Forderungen von dynamischen, großen Bewegungen stellt (z.B. Pride, FFF), aber wenn es darum geht z.B. eine Schirmherrschaft für eine Aktion zu finden, Einladungen auszusprechen und Einladungen anzunehmen, dann sind wir da sehr schnell und freuen uns.
    Eine Anekdote dazu von noch ein paar Ebenen drüber:
    Ich war 2017 auf der Weltkonferenz von WAGGGS in Delhi. In meinem Studium (dabei ein Auslandssemester in Indien) habe ich mich viel mit der Hindunationalistischen Bewegung in Indien auseinandergesetzt, zu der auch die regierende Partei BJP gehört. Man bezieht sich auf eine rassistische Ideologie, der Premierminister ist verwickelt in Pogrome gegen Muslime, es gibt Sympathien für Hitler und Mussolini (ich verkürze das, um meinen Punkt klarzumachen, aber es gibt genug Literatur und Erfahrungen dazu). Am ersten Tag der Konferenz steht dann bei der Eröffnung eine Politikerin auf der Bühne, die eben zu dieser Partei, zu dieser Regierung gehört und hält eine (meines Erachtens ziemlich platte) Rede über die Stärke der Frauen etc. und erntet dafür Standing Ovations von einem Raum voller Pfadfinder*innen aus der ganzen Welt, die wahrscheinlich hauptsächlich gar nicht wissen wer da steht. Ich bin sitzen geblieben, mir war schlecht, ich dachte mir “Scheiß Fascho” und habe die Nacht kaum geschlafen.
    Auch das ist Politik und vor allem das ist Politik!

  • Fuchs (Andrea Ries)

    Nachtrag: Da hier auf den Antrag der letzten BV Bezug genommen wird: Er ist hier nachzulesen https://mitreden.pfadfinden.de/t/antrag-bdp-als-politischer-akteur/751 und er kann auch hier diskutiert werden. Es wäre schön, wenn solche Angebote (mitreden.de, der Workshop zum Antrag) wahrgenommen würden, bevor der Vorwurf aufkommt, es gäbe eine aufgedrückte Politisierung “von oben”.
    Abgesehen davon verstehe ich auch mit Blick auf den Inhalt des Antrags diese Wahrnehmung immer noch nicht. Ich habe den Eindruck wir müssen uns Mühe geben, in solchen Diskussionen bei der Sache zu bleiben, statt auf abstrakte Ebenen abzuheben. Lasst uns mehr über Erfahrungen und Beispiele reden, dann können wir einander besser verstehen. In einigen Kommentaren hier gibt es da ja schon einige sehr gute Anknüpfungspunkte.

  • kison

    Moin,
    Welch eine schöne Diskussion sich hier noch entsponnen hat! Ich stimme Fuchs und Chris sehr zu, sogar Malte kann ich stellenweise zustimmen.

    Fuchs’ Anekdote von der WAGGGS-Weltkonferenz bringt mich jedoch zu meiner ersten Ergänzung: Mich erinnerte das an die bejubelte Rede von Donald Trump beim National Jamboree der BSA 2017. Ich hab sie kurz vor meiner Abreise zum Bula noch angeschaut und war entsetzt. Er leitet ein mit: Nein, heute rede ich mal nicht über Politik, und kommt dann relativ bald zu “crooked Hillary” – gefolgt von Jubel aus der Menge. Nach der Rede versuchte sich die BSA immerhin in Schadensbegrenzung. Das Ganze war dennoch so bizarr wie bezeichnend.
    Als Historiker fallen mir da Parallelen ein zu den ersten ca. 30–40 Jahren der Jugendbewegung in Deutschland (entstanden ist sie um 1900 mit dem Wandervogel). Denn auch die (bürgerliche) Jugendbewegung wollte radikal unpolitisch sein. Aber mit dem Wilhelminischen Kaiserreich war sie dennoch unzufrieden, noch mehr mit der Weimarer Republik. Sie wollten ein Neues Reich, und meinten dafür erstmal den Neuen Menschen schaffen zu müssen – diese Idee findet sich wenig später bei esoterischen Nazis (dort auch noch heute) und bei Stalin. – Wenn man einen Blick in die Wandervogelzeitschriften der Zeit wirft, fällt auf, dass dennoch politische Themen diskutiert wurden: Über die Frage, ob Mädchen dabei sein dürfen und wenn ja wie, spalteten sich Bünde; über die Frage, ob jüdische Menschen dabei sein dürfen, spaltete sich dann kein Bund mehr, denn trotz Versuchen von Schadensbegrenzung seitens der Bundesführung war vielerorts klar: Der Wandervogel ist ein “urdeutsches Gewächs” und da würden ja keine Jüdinnen und Juden reinpassen. Unpolitisch? Dachten sie. Wer die Aufsätze zu dem Thema von damals liest, ist unweigerlich erschüttert, wie nah sie der Sprache und dem Denken derjenigen kamen, die nur 20 Jahre später sich daran machten, jüdische Menschen systematisch mit handfester Politik zu unterdrücken, zu vertreiben und schließlich industriell zu vernichten. Und was machte die Jugendbewegung 1933? Hans Blüher (umstrittener Typ, ich weiß, aber ohne Zweifel nicht ohne Einfluss in der damaligen Jugendbewegung) sympathisierte mit den Nazis, doch die wollten ihn nicht (ähnlich wie Emil Nolde). Tusk wollte (nach einem kurzen Gastspiel bei der KPD) zur Hitler-Jugend, doch die wollten ihn nicht, sodass er nach Gestapo-Haft sich in England wieder der Exil-KPD anschloss. Und die beiden sind alles andere als Ausnahmen. – Heute zu sehen, dass eine WAGGGS-Weltkonferenz eine Politikerin der indischen BJP und die Mitglieder der BSA Donald Trump bejubeln, sollte uns zu denken geben. Denn dieses Bejubeln von Politiker*innen, die hart nach weit rechts tendieren, resultiert aus einem fehlenden politischen Bewusstsein, das wiederum aus einem Selbstverständnis als unpolitisch entsteht. Ich argumentiere ungern damit, dass wir als Deutsche mit dieser unserer historischen Erfahrung da klüger sein sollten, aber das sollten wir, vor allem als BdP, der unter anderem in der Tradition der Jugendbewegung steht. Gerade wir dürfen einfach nicht “unpolitisch” sein – wollen, denn man kann einfach nicht unpolitisch sein, wie nicht nur genannte Beispiele aus Indien und den USA zeigen.

    Eine kurze Anmerkung zu Malte: Wir haben schonmal über diese FFF-Sache diskutiert, die du ansprichst, da kommen wir einfach nicht auf einen grünen Zweig. Das lasse ich mal 😉 Aber ich möchte darauf hinweisen, dass der von die angesprochene Antrag nicht auf der letzten BV beschlossen, nicht mal besprochen wurde, denn die letzte BV wurde verschoben und ist jetzt die nächste BV Ende September. Bis dahin: Siehe, was Fuchs in ihrem Nachtrag sagt. (Ich glaube ausdrücklich nicht, dass du, Malte, hier Fake News verbreitest, denn das tätest du ja nur, wenn du das mit der Verschiebung wüsstest, wovon ich nicht ausgehe. Wir sind oft unterschiedlicher Meinung, aber dir Böswilligkeit zu unterstellen, liegt mir fern.) Ansonsten stimme ich dir dahingehend zu, dass es immer eine Gratwanderung ist, wann man sich ggf. in politische Abhängigkeit von etwas begibt – nur, wie breit dieser Grat ist und wo auf diesem Grat wir gehen, da sind wir wohl unterschiedlicher Meinung. Und das ist auch gut so, denn nur so, in demokratischer Meinungs- und Entscheidungsfindung kommen wir im BdP am Ende zu einem für möglichst viele passenden Kompromiss.

    Zum Schluss ist es mir, als Sprecher des AK Rainbow, noch ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass die Pride-Bewegung, wie sie hier genannt wird, und Fridays for Future sich an einer Stelle bedeutend unterscheiden: Fridays for Future ist, seitdem mehr Schüler*innen als nur Greta Thunberg freitags streiken, eine weltweite Organisation mit Untergruppierungen. Die “Pride-Bewegung” hat keine vergleichbar feste Organisationsstruktur. Ja, es gibt Organisationen, z.B. die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA), in der u.a. der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) Mitglied ist. Diese ILGA wäre vielleicht mit FFF zu vergleichen. Die “Pride-Bewegung” als Ganze ist aber organisatorisch so vielfältig wie das, was sie repräsentiert; wie vielfältig das ist, zeigt sich darin, wie innerhalb der Community über Erweiterungen der Abkürzung LGBT (englisch für: lesbisch, schwul, bisexuell, trans*) diskutiert wird, weshalb man heute z.B. LGBTQIA+ und ähnliches liest (mit queer, inter*, asexuell/aromantisch und einem + für Erweiterungen) oder man einfach queer* als Überbegriff verwendet für alle, die nicht cis-hetero sind bzw. der Cis-Heteronormativität entsprechen. Und ständig entstehen neue Gruppierungen, nicht nur für einzelne “Buchstaben” aus dem LGBTIQA+Akronym, sondern auch solche, die für alle offen sind, die queer sind. – Die “Pride-Bewegung” wäre also, wenn überhaupt, d.h. allein auf dieser organisatorischen Ebene, mit der Klimaschutzbewegung als Ganzer zu vergleichen, die ja auch zahllose Verbände und Gruppierungen umfasst: Greenpeace, Extinction Rebellion oder eben Fridays for Future (sogar Parteien gibt es mehrere).
    Warum ist mir diese Klarstellung wichtig? Weil es einer der ältesten Vorwürfe gegen queere Menschen ist, irgendeine klandestine Geheimorganisation zu sein, die gezielt die Gesellschaft verändern will. Eine Homo-Lobby mit einer Gay Agenda: die große Verschwulung, um mal drei typische Schlagworte zu benutzen. Und das ist eben völliger Humbug und erinnert stark an antisemitische Verschwörungserzählungen. – Ich bin mir sicher, dass das niemand von euch im Sinn hatte, aber FFF und “die Pride-Bewegung” hier in einem Atemzug zu erwähnen, gerade wenn du, Malte, z.B. sagst, die Pride-Bewegung sei ein gutes Beispiel für den schmalen Grat zwischen politischer Unabhängigkeit und Abhängigkeit von einer Organisation, und deine These dann aber am Beispiel von Fridays for Future darlegst.
    Wir queeren Menschen sind nämlich erstaunlich unfähig, eine Homo-Lobby zu sein: Allein in Berlin gab es dieses Jahr zwei große CSDs, ein weiterer kommt noch, dazu kamen noch diverse kleinere. Einer der großen CSDs wird zwar von einem CSD-Verein organisiert, aber erstens beteiligen sich an diesem CSD die vielfältigsten Verbände (z.B. eine schwule Schuhplattler-Gruppe), zweitens ist es gerade die Unzufriedenheit mit diesem CSD-Verein, die andere dazu bringt, eigene CSDs zu organisieren; es gibt auch Leute, die sich an beiden beteiligen, während andere dem großen CSD und seinem Verein geradezu feindlich gegenüberstehen. – Unter diesen Bedingungen ist das Sprechen von einer (einigen) “Pride-Bewegung” oder einer queeren Community meist eher Projektion oder Hoffnung (je nachdem, wer es sagt), in jedem Fall gibt es das nur sehr bedingt.
    Manche queeren Menschen wollen sogar mit Politik rein gar nichts am Hut haben – und können es einfach nicht. Denn (neben der Gesellschaft) ist es eben immer “die Politik”, die sich in unser Leben einmischt – mancherorts sogar so sehr, dass sie dieses Leben einfach beendet, andernorts dürfen sie ihre Meinung nicht frei sagen (z.B. in Ungarn neuerdings), hier in Deutschland gibt es auch noch manchen Stein im Leben manches queeren Menschen: Trans*menschen wird die Transition durch das Transsexuellengesetz immer noch ziemlich schwer gemacht, viele empfinden es als entwürdigend, und selbst das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach Regelungen des Gesetzes als verfassungswidrig eingestuft. Solange sich die Politik in unser Leben einmischt, müssen wir uns in die Politik einmischen. – Und gilt das nicht auch für Klima, dessen Wandel das Leben von uns allen auf diesem Planeten auf kurz oder lang gefährdet? Und gilt das nicht auch für Jugendliche allgemein? Wäre es da nicht unsere Aufgabe als Jugendverband, den Jugendlichen, die nicht wählen, ein Sprachrohr gegenüber der Politik zu sein? Ganz abgesehen davon, dass auch wir Jugendverbände von politischen Entscheidungen ganz real betroffen sind, wenn z.B. die Gemeinde einfach den Nutzungsvertrag für das Heim kündigt. Solange also die Politik sich in unser Leben als Pfadfinder*innen und als Pfadfinder*innenverband einmischt, müssen wir uns in die Politik einmischen. Wo da die Grenze, der (schmale?) Grat ist, müssen wir im Einzelnen diskutieren.

  • Malte Medrow

    Hallo Fuchs,

    Du schreibst: “Ich habe in den letzten Jahren immer wieder Punkte gehabt, an denen ich das Gefühl hatte in meinem Engagement als Pfadfinderin an Grenzen zu stoßen. Da waren auf der einen Seite die Werte, die mir vermittelt wurden, z.B. durch unsere großartigen Regeln, und auch durch das ideal eines freien Lebens mit einer Neugierde und Offenheit für die Welt und einem kritischen Blick auf die Gesellschaft, wie wir es auch in vielen Liedern besingen”.

    Ich glaube genau hier sind wir an der Stelle, die ich versucht habe zu beschreiben:

    Wir vermitteln als Pfadfinder unter anderem Werte, haben großartige Regeln. Und eines unserer wichtigsten Ziele sollte es dann sein, das auch weiterhin zu tun. Aber wie gesagt, dass was wir vermitteln ist nur deshalb so großartig weil es Ziele und keine Wege sind.
    Unsere pädagogische Konzeption sagt auch ganz klar, dass wir Erziehen wollen.
    Wir wollen möglichst vielen die Möglichkeit geben daran teilzuhaben.

    Und ja klar ist es in unserem Interesse, dass unsere Adressaten, also unsere Mitglieder, nach Wegen suchen diese Ziele zu verwirklichen und diese Wege auch beschreiten.

    Doch wenn wir als Organisation die Plattform bieten diese Ziele in der breiten Öffentlichkeit umzusetzen, und politisch entsprechend tätig werden, dann verlieren wir uns im Weg. Wir werden anfangen Wege zu vermitteln und keine Ziele mehr. Und weil wir uns über die Wege nicht einig sein werden, werden wir kleiner werden und schlussendlich in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.

    Uns deshalb Fuchs, sollte es diese Grenze geben, von der Du schreibst.

    Für jeden Einzelnen mag der Weg ganz eindeutig und fest mit dem Ziel verbunden zu sein und diese Unterscheidung zwischen Ziel und Weg daher unnötig zu sein, doch so ist es leider nicht.

    Beispiel:
    Unser Ziel ist der Umweltschutz (und damit auch der Klimaschutz)
    Ein Weg dieses Zu erreichen in dem wir hoffentlich noch alle übereinstimmen ist die Reduzierung der CO2 Emission auf 0.
    Doch jetzt fange die Unterschiede an:
    Viele halten es für den richtigen Weg hierzu Verbrennungsmotoren abzuschaffen und alleine auf Batterieelektrik zu setzen.
    Ich glaube dass dieser Weg kontraproduktiv ist das Ziel zu erreichen, da es technisch bessere Alternativen gibt und die reine Fokussierung auf Batterieelektrik eine technische Sackgasse ist.

    Wir erreichen wesentlich mehr, das Ziel des Umweltschutzes (um bei dem Beispiel zu bleiben) bei möglichst vielen zu verankern, als wenn wir uns auf einen Weg festlegen, der ja womöglich falsch und eine Sackgasse ist.

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