Politik in der Rainbow-Jurte
,Pfadfinden und Politik. Ein Thema, über das viel geredet wird und zu dem einiges an Uneinigkeit besteht. Ich finde es sehr spannend, mir das genauer anzuschauen. Dabei kommt mehreren Fragen auf. Erstens: Ist Pfadfinden (oder genauer: Pfadfinden im BdP) politisch?
„Wir [sind] parteipolitisch unabhängig, betreiben aber politische Bildung und fördern das politische Engagement unserer Mitglieder.“ (Pädagogische Konzeption des BdP)
Auch ein Blick in die Übersicht der angenommenen Anträge auf Bundesversammlungenzeigt seit Gründung des BdP in seiner jetzigen Form 13 Anträge (unter anderem Stellungnahmen gegen Menschenfeindlichkeit und Populismus), die meiner Einschätzung nach politische Themen direkt berühren. Zudem setzen sich Mitglieder des BdP in den Strukturen der Jugendarbeit auf regionaler, Landes- und Bundesebene für die Interessen und den Erhalt sowie die Verbesserung der Grundlagen, die den BdP arbeitsfähig machen, ein.
Das macht den BdP in meinen Augen eindeutig politisch.
Aber was heiß „politisch“ überhaupt, und was ist der Unterschied zu „parteipolitisch unabhängig“? Das ist eine Frage, die viele Missverständnisse auslöst, und die auch unterschiedlich beantwortet werden kann. Laut Duden bedeutet „politisch“: „Die Politik (auf die Durchsetzung bestimmter Ziele besonders im staatlichen Bereich und auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerichtetes Handeln von Regierungen, Parlamenten, Parteien, Organisationen oÄ) betreffend“. Synonym dafür ist übrigens „gesellschaftlich“.
kison, Bundesarbeitskreis Rainbow, hat u.a. Politikwissenschaft studiert und sagt: Die Definition des Dudens ist überholt. Politik besteht aus Strukturen (Polity), Prozessen der Gesetzgebung und Entscheidungsfindung (Politics) und Inhalten (Policy). Policy wird durch Politics zu Polity.
Das heißt, durch unser aktives Mitwirken an Inhalten und unseren Kontakt zu Prozessen der Entscheidungsfindung, wie Gremien der Stadt, gestalten wir das gesellschaftliche Leben in dieser Demokratie mit. Demnach erfordert funktionierende Politik (und Demokratie) aktives Mitwirken.
Der Bundesarbeitskreis Politische Bildung hat sich mit dieser Unterscheidung ausführlich auseinandergesetzt und dazu vor drei Jahren auch einen sehr spannenden BV Antrag geschrieben. Dieser ist unter dem Titel „BdP als politischer Akteur“ unter mitreden.pfadfinden.de einsehbar und kann dort auch diskutiert werden. Hier wird beispielsweise aufgeführt, dass der BdP „parteipolitisch unabhängig“ ist, bedeutet, dass wir nicht zu einer bestimmten politischen Partei gehören und unsere Mitglieder auch nicht in Richtung einer bestimmten Partei ziehen. Allerdings ist laut Satzung des BdP die Mitgliedschaft in „einer Partei oder Vereinigung, die Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhass, Rassismus, Nationalismus und Intoleranz gegen Andersdenkenden verbreitet“ Grund zum Ausschluss aus dem Verband. So ist es mit den Werten des BdP vereinbar, sich explizit gegen Parteien auszusprechen, deren Ideen eindeutig unseren Zielen widersprechen. Einen entsprechenden Beschluss, der sich gegen die AfD und rechtsradikale Hetze ausspricht, gab es auf der Landesversammlung in Niedersachsen.
Darüber hinaus ist politische Neutralität grundsätzlich kaum möglich, denn wie würde sie aussehen? Es würde heißen, bei politischen Entwicklungen zu schweigen, sich nicht einzumischen und nichts zu tun und das kann sich nur leisten, wem es nicht schadet oder wem es egal ist. Trotzdem ist diese Entscheidung gegen ein Einmischen nicht wirklich neutral, denn Schweigen ist passive Zustimmung zu bestehenden Entwicklungen und dem Status quo. Zudem ist diese Passivität auf lange Sicht auch schädlich für den Stamm, in der Form, dass z.B. auch geplante Streichungen von Fördermitteln nur durch politischen Einsatz verhindert werden können.
Pfadfinder*innen versprechen: Ich will dem Frieden dienen und mich für die Gemeinschaft einsetzen, in der ich lebe. Und die Gemeinschaft, für die wir uns einsetzen wollen, ist eine, in der alle Beteiligten gleichberechtigt leben können. „Sich einsetzen für“ ist nicht neutral, es setzt Dinge in Bewegung und bringt Veränderung, die unsere Gemeinschaft und unsere Demokratie bestenfalls zu einem besseren Ort macht. Mit den Werten des BdP, „als verantwortliche Bürgerinnen und Bürger eine demokratische, weltoffene Gesellschaft mit[zu]gestalten und mit[zu]tragen“ (Präambel päd. Konzeption) wird ein Ziel vorgeschlagen, das viele Wege zur freien Gestaltung offenlässt.
Wo kommt denn jetzt die Rainbow Jurte – symbolisch für den Raum, den der BdP queeren Menschen bietet – ins Spiel? Queer sein ist politisch. Das mag einigen nicht passen, aber allein dadurch, dass wir nicht den Normen entsprechen, fallen wir in der Gesellschaft auf. Wenn wir ganz normal über unsere Leben sprechen, so wie all die nicht-queeren Menschen, wird uns Aufdringlichkeit unterstellt. Durch an vielen Stellen fehlende Bildung und fehlendes Verständnis muss jede offen queere Person, auch unfreiwillig, Expert*in queeren Lebens sein und wird leicht vom Individuum zum Holzschnitt. Unsere Existenz wird zum politischen Gegenstand gemacht. Der bloße Wunsch nach friedlichem Dasein (!) macht politischen Einsatz nötig. Mit den aktuellen Entwicklungen, wie z.B. dass Rechtspopulismus sich vermehrt gegen Queerness als „Abweichung“ zum traditionellen, konservativen Gesellschaftsbild richtet, sind wir nicht in der Position zu schweigen, denn wir sind negativ betroffen.
Viele Gesetze benachteiligen auch heute noch queere Menschen, erschweren den Zugang zu passender und diskriminierungsarmer Gesundheitsversorgung, sexueller Aufklärung, Familienbildung und mehr. Wenn wir Gleichberechtigung wollen, müssen wir dafür kämpfen.
Und so schön es auch ist, diese Räume im BdP zu schaffen und unseren queeren Mitgliedern das Gefühl vermitteln zu können, dass sie willkommen sind – die Welt, die Gemeinschaft und unsere Leben enden nicht, wenn wir das Halstuch ablegen, und wir sind auch Pfadfinder*innen, wenn wir gerade keine Kluft tragen. Die Werte, für die wir im BdP stehen, wollen wir auch nach außen tragen.
Miriam Miedl (Mira)
AK Rainbow
Stamm Fafnir, Waldkraiburg
LV Bayern
Titelfoto: Daniel Lienert
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