NEUE BRIEFE

Seit 70 Jahren im BdP

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Im November 2018 war es 70 Jahre her, seit ich in den BdP eingetreten bin (1948, mit gerade 20 Jahren). Er hieß damals noch gar nicht so, aber das ist nicht wichtig. Seitdem bin ich (fast) ununterbrochen Mitglied dieses Bundes gewesen, zuerst sehr intensiv (Anfang der 60er Jahre war ich Landesvorsitzender in Westfalen), später berufs- und altersbedingt nur noch sporadisch und passiv. Doch habe ich noch in den letzten Jahren immer wieder einmal ein Lanespfingstlager meines Landesverbandes besuchen können oder auf andere Weise Kontakt gehabt. Daher glaube ich, dass ich nach einer so langen Zeit des Dabeiseins beurteilen kann: Was hat sich bei uns verändert – und was ist gleich geblieben?

Was sich verändert hat:

Das war schon Vieles, heutige Pfadfinder würden staunen, mit welchen Problemen wir damals fertig werden mussten. Ich nenne nur ein paar.

Damals musste man ungeheuer einfach leben, auch in den Pfadfindergruppen. Zelte wie Kohten oder Jurten kannte man längst noch nicht, man war froh, ein paar Dreieckszeltplanen der alten Wehrmacht zu haben, um damit auf Fahrt oder in ein Lager gehen zu können. Autos in einem größeren Lager waren völlig unvorstellbar. Technische Mittel zum Kontakt wie Handys oder Smart-Phones waren noch lange nicht erfunden. Aber trotzdem hatten wir Spaß in unseren Gruppen und wir haben die Probleme auch ohne diese modernen Hilfsmittel in den Griff bekommen.

Das Essen war damals, kurz nach der „Währungsreform“ und noch vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, och reichlich knapp („Wir haben Hunger im Magen“ hieß es in einem Lied, das wir damals sangen). Heute leben wir in einer „Überfluss-Gesellschaft“, wie es so schön heißt. Aber ich sehne mich wirklich nicht nach den Zeiten vor 1948 zurück.

Damals, 1948, gab es nur Jungen in unseren Gruppen, wie auch in den Schulen, und ganz getrennt die Mädchen. Heute ist das Zusammenleben von Jungen und Mädchen in den Gruppen selbstverständlich. Ich finde das prima, es entspricht dem Wesen unserer heutigen Zeit, und ich habe noch nie gehört, dass es damit (in unserem Bund) Schwierigkeiten gegeben hat.

Was sich nicht verändert hat:

Wie damals gehen noch heute Pfadfinderinnen und Pfadfinder gerne „auf Fahrt“, zelten irgendwo in der Natur, sitzen am Lagerfeuer und atmen mit dessen Rauch das Gefühl ein, besondere Abenteuer und eine einzigartige Gemeinschaft zu erleben. Ein solches Erlebnis ist etwas ganz anderes, als etwa mit den Eltern irgendwie im Freien zu grillen, an einem Strand in der Sonne zu liegen oder gar auf einem Kreuzfahrtschiff durch fremde Gegenden zu reisen.

Vielleicht geschieht das Zelten an irgendeinem Wochenende heute nicht mehr so oft wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit, weil man heute auch alle möglichen anderen Beschäftigungsmöglichkeiten hat, die Spaß machen und die nichts mit Fernseher und Computer zu tun haben.

Das Zusammenleben, der Umgangston in den Gruppen und im ganzen Bund ist heute so locker und freundschaftlich wie damals: der Unterschied zur Hitlerjugend (die ich als Jugendlicher noch kennengelernt habe) oder der FDJ in der DDR, wo man im Staatssinn erzogen wurde, ist gewaltig.

Die Bereitschaft, Menschen – nicht nur Pfadfinder! – anderer Nationen, Sprachen oder Hautfarben freundschaftlich, als Brüder und Schwestern zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen, das hat die Pfadfinder damals wie heute ausgezeichnet. Das unterscheidet leider heute auch in Deutschland die Pfadfinder von manchen unserer Zeitgenossen.

Die „gesellschaftliche Sozialisation“ (wie man das heute so schön wissenschaftlich nennt) der Jungen und Mädchen in unserem Bund ist glücklicherweise noch genauso wie damals in unseren Gruppen. Damit meine ich die völlig unbewusste Erziehung von Jugendlichen auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden durch formende Erlebnisse, die vom „allgemein Üblichen“ abweichen und trotzdem altersgerecht sind und Spaß machen. Ich meine vor allem die feste Kameradschaft und Freundschaft in einer kleinen Gruppe, in deren Ordnung man sich freiwillig begibt, das durch „Learning by doing“ erworbene Selbstbewusstsein, die in der Pfadfindergruppe gelernte Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen, aber auch das Erwerben der Fähigkeit, sich in ungewohnten Situationen sachgerecht zu verhalten oder Verantwortung für andere, ja auch für völlig Unbekannte zu übernehmen. Vor allem Mädchen und Jungen, die mit zunehmendem Alter erst kleine, später größere Führungs- und Organisationsaufgaben im Pfadfinderbund übernehmen, bekommen dadurch ein wunderbares Rüstzeug für einen erfolgreichen Weg durchs Erwachsenenleben.

Das sind Erlebnisse und Situationen, die leider heute sehr, sehr vielen Jugendlichen nie im Leben passieren. Was für ungeheuer wertvolle Lebenserfahrungen fehlen denen!

Ich meine, unser schöner Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder sollte daran festhalten, was sich seit so langer Zeit erhalten und bewährt hat!

Von Reinhard Schmoeckel

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