Starker Bund, starke Pfadfinder*innen!?
,Das Perfide an sexualisierter Gewalt ist ihre Vielschichtigkeit. Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, sind getroffen in Körper, Psyche und ihrer Sexualität. Täter*innen geht es darum, die Persönlichkeit und Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen zu schädigen, um eigene Machtvisionen auszuleben.
Wir möchten im BdP einen sicheren Raum für alle bieten und müssen daher stark in der Prävention sexualisierter Gewalt sein. Wir brauchen starke Mitglieder und starke Strukturen.
Dazu müssen wir uns fragen: Wo sind unsere Schwachstellen? Wir müssen uns Risikofaktoren anschauen. Darunter versteht man Merkmale von Personen, Geschehnisse oder Umstände, die sexuellen Missbrauch begünstigen und vorhersagen. Ein einfaches Beispiel bei uns im BdP ist das gemeinsame Schlafen in Zelten auf Fahrt und Lager. Kinder und Jugendliche, aber auch volljährige Gruppenleiter*innen, liegen auf engstem Raum nebeneinander. Täter*innen nutzen körperliche Nähe gezielt aus, um übergriffig zu werden. Jetzt wollen wir aber das Schlafen in Zelten nicht verbieten, um dem Kinderschutz gerecht zu werden. Vielmehr sollten wir uns über Risikofaktoren bewusst sein und durch gezieltes Handeln potentiellen Täter*innen einen Übergriff so schwer wie möglich machen, um Kinder und Jugendliche zu schützen.
Schutzfaktoren setzen dem Risiko etwas entgegen. Durch eine Kultur des Hinschauens und Sprechens, durch Partizipation und die Achtung des anderen schaffen wir es, Betroffenen Handlungsmöglichkeiten mitzugeben. Wenn Kinder und Jugendliche gelernt haben, dass sie Nein sagen können, dass ihre Meinung wichtig ist und ihre Stimme immer geachtet und gehört wird, vertrauen sie sich uns als Leiter*innen auch in schwierigen Situationen an und können so Missbrauch verhindern.
Wir brauchen starke Mitglieder.
Wir sprechen miteinander über Sexualität, über eigene und fremde Grenzen. Wir sprechen über Gewalt und Missbrauch. Wir können Stopp sagen und uns für die anderen einsetzen – jede*r im Rahmen der eigenen Möglichkeiten. Entscheidungs- und Funktionsträger*innen sind hier anders gefordert als Wölflinge und Sipplinge.
Auf Kursen für Gruppenleitungen haben sich Einheiten zu sexualisierter Gewalt etabliert. Prävention sexualisierter Gewalt kann – und soll – Spaß machen. Es gibt viele Spiele und Methoden zu dem Thema, die gut in Gruppenstunden und auf Fahrt und Lager anzuwenden sind. In manchen Landesverbänden gibt es sehr aktive intakt-Arbeitskreise, die auf Lagern vor Ort sind, Stämme besuchen und viele Aktionen durchführen.
Manche Schutzfaktoren lassen sich gut in unsere Strukturen bei den Pfadfinder*innen eingliedern. Manchmal sind sie sogar so gut integriert, dass man sie erst auf den zweiten Blick erkennt – zum Beispiel unser Prinzip „Jugend leitet Jugend“. Der geringe Altersunterschied zwischen Gruppenleitung und Pfadfinder*innen reduziert Machtpositionen. Somit kann die Macht auch nicht missbraucht werden.
Jedoch gibt es auch jene Schutzfaktoren, die wir als sperrig und nicht angemessen wahrnehmen. Seit 2012 werden erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse von Gruppenleitungen eingesehen. So erreichen wir, dass einschlägig vorbestrafte Personen keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen bekommen – erst einmal keine schlechte Idee. Aber jede*r, der*die schon mal zum Amt musste, um es zu beantragen, oder Stammesführungen, die jährlich neue Anträge stellen und Führungszeugnisse einsehen müssen, können ein Leidenslied davon singen. Bürokratisch, unnötig, Zeitverschwendung. Aktuell ist die Einsichtnahme nicht gut gestaltet, regionale Vereinbarungen zwischen Stämmen und Jugendämtern unterscheiden sich stark, manche Stämme oder Landesverbände haben gar keine Vereinbarungen getroffen und fordern daher auch keine erweiterten Führungszeugnisse der Leitungen ein.
Aber: Führungszeugnisse sind eben eine mögliche Schutzmaßnahme – und niemand möchte sich vorstellen, dass eine einschlägig vorbestrafte Person bei uns im BdP aktiv wird und Kinder missbraucht.
Wir müssen aufpassen, dass die Kritik an einzelnen Maßnahmen und Vergröberungen sowie Vereinfachungen, den Gedanken, jeden Menschen vor sexualisierter Gewalt zu schützen, nicht untergraben und gefährden. In einem Monitoring des unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauch heißt es dazu: „Dies betrifft etwa die Idee, das Einholen von Führungszeugnissen für Haupt-und Ehrenamtliche reiche aus, oder die Vorstellung, der Prävention sexueller Gewalt sei am besten dadurch gedient, jeden Körperkontakt zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen für unerwünscht zu erklären (no-touch policy). Gleiches gilt für Annahmen, sexuelle Gewalt würde nur von männlichen Personen ausgehen oder sich nur gegen weibliche Kinder bzw. Jugendliche richten. Diese Ansätze haben mit der Idee von Schutzkonzepten wenig zu tun. Sie sollten daher entschiedener als bisher abgelehnt werden.“
Wir brauchen starke Strukturen.
Auf der letzten Bundesversammlung wurden zwei Anträge angenommen, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene im BdP schützen sollen.
Alle Landes- und Bundesvorstände sowie Stammesführungen müssen sich nun zweijährlich zu dem Thema Prävention und Intervention von sexualisierter Gewalt fortbilden. Schwerpunkt dieser Fortbildungen soll es sein, Strukturen der Intervention und Handlungsschritte bei einem Verdacht von sexualisierter Gewalt kennenzulernen – denn wenn ein Fall auftritt, sind Vorstände und Stammesführungen gefordert, diesen zu bearbeiten und Entscheidungen zu treffen.
In dem zweiten Antrag geht es um verpflichtende Schulungen für Teams von Großveranstaltungen wie unserem Bundeslager oder dem Moot. Teams sollen Risikofaktoren auf den jeweiligen Veranstaltungen erkennen, sie minimieren und ihnen Schutzfaktoren gegenüberstellen.
Prävention im BdP umfasst viele freiwillige und attraktive Angebote. Durch die beiden Beschlüsse der Bundesversammlung werden jetzt jedoch auch härtere Bandagen rausgeholt – eine Selbstverpflichtung des Bundes. Wir erkennen, dass Freiwilligkeit nicht ausreicht: Bestimmte Personen im BdP müssen wir erreichen und für das Thema sensibilisieren, weil sie Verantwortung tragen. Die Abwägung, was dabei gerechtfertigt ist, ist schwierig. Es ist ein Drahtseilakt zwischen Akzeptanz und Verweigerung. Denn eines wollen wir erst recht nicht erreichen: Dass Leute das Interesse an der Prävention sexualisierter Gewalt verlieren, nur weil sie sich schon wieder gezwungenermaßen mit dem Thema beschäftigen müssen. Wir müssen darüber sprechen, weshalb gerade diese Maßnahmen notwendig sind, um Akzeptanz zu erreichen. Eine breite Meinungsbildung, eine gute Diskussion und demokratische Legitimierung helfen dabei, ein gemeinsames Verständnis und Ideen zu formulieren.
Die wesentlichen Fragen bleiben: Was wollen wir tun und was sind wir bereit zu tun, um sexualisierter Gewalt keinen Raum zu bieten? Und können wir von uns behaupten alles getan zu haben, damit der BdP ein sicherer Raum (für Kinder, Jugendliche und Erwachsene) ist?
Gruppenstundenideen und mehr Interessantes findest du hier.
Hannes Stinstat
AK intakt
Foto: Simon Vollmeyer
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