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NEUE BRIEFE

Wachstum um jeden Preis?!

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Ein Kommentar.

Vor einer Weile erschien in der pfade ein Text namens „Kleine Meuten – große Probleme“, der mittlerweile sehr gerne gerade bei Aufbaugruppen als „Maßstab“ herangezogen wird, wie ein schnelles Wachstum innerhalb eines Stammes funktionieren kann.
Der Text erklärt gut und anschaulich, dass es vor allem darum geht, eine große Meute zu haben, um dann später genügend Sippen und dann wiederum genügend RRs zu haben, die im weiteren Verlauf den Stamm leiten. So weit – so gut. In der Theorie.

Allerdings ergeben sich für mich in meiner praktischen Wahrnehmung daraus vor allem logistische und räumliche Probleme – gerade bei Aufbaugruppen, aber teilweise auch bei schon bestehenden Stämmen.

Bevor ich in den Text einsteige möchte ich anmerken, dass das hier keine Kritik an dem anderen Text sein soll und ich lediglich ein paar Schwierigkeiten schildern möchte, die mir in meiner Arbeit in verschiedenen Aufbaugruppen bisher aufgefallen sind. Es geht hier auch nur um meine persönliche Sicht der Dinge, ich spreche hier nicht für alle Stämme (das kann ich auch gar nicht).
Außerdem würde ich mich freuen, wenn durch Texte wie diesen Räume entstehen können, in denen wir uns austauschen. Vielleicht hattet ihr als Stamm auch schon solche Probleme, habt sie aber überwunden. Wir können glaube ich, sehr viel voneinander lernen, wenn wir in einen gemeinsamen Austausch treten.

Aber nun zum Text:

Wenn Leute sich zum Gründen einer Aufbaugruppe entscheiden, dann sind das meistens eine Handvoll sehr engagierter Erwachsener. Erwachsene, die, abgesehen von ihrem Ehrenamt, meistens noch Vollzeit arbeiten. Sie beginnen mit einer Meute und ein, vielleicht zwei Sippen. Dafür braucht es allein schon mindestens zwei Gruppenleitungen für die Meute (eher drei) und dann noch pro Sippe mindestens eine Gruppenleitung. Das sind schon fünf Leute, die die Gruppen leiten, sich Programm ausdenken usw. Dann brauchen wir noch eine oder zwei Stammesführungen. Im besten Fall also sieben Leute, damit sich die Arbeit, die gerade anfänglich sehr herausfordernd sein kann, auf möglichst viele Schultern verteilt.

Wenn dann die Sipplinge alt genug sind, können sie langsam aber sicher in Verantwortung kommen. Im besten Fall. Im eher schlechteren Fall bekommen die Sipplinge mit 14 oder 15 schon Aufgaben zugeteilt, für die sie eigentlich gar nicht bereit sind, weil die Erwachsenen sich dann doch allmählich „rausziehen“ wollen. Anfänglich noch motiviert, kann es passieren, dass die Sipplinge dann recht schnell „verheizt“ werden, weil sie plötzlich viel zu viel Verantwortung auf einmal bekommen haben und schlussendlich keine Lust mehr auf die Pfadfinderei haben, weil es nur noch Arbeit und nicht mehr so viel Spaß bedeutet. Eine lange Sippenzeit mit langsamer Heranführung an Verantwortung und Aufgaben finde ich, auch in Aufbaugruppen, daher sehr wichtig, damit die Sipplinge sich wirklich sicher und zugehörig in ihrem Stamm fühlen können. Auch mit Druck zu arbeiten (zum Beispiel: „Du bist doch jetzt schon 15, willst du nicht vielleicht eine Sippe übernehmen? Wir brauchen dich.“ – und das dann bei jedem Lager und jeder Fahrt zu sagen) finde ich schwierig.

Ich verstehe, dass die Gründer*innen oft irgendwann weniger Kapazitäten haben, sich um den Stamm zu kümmern und sich irgendwann wieder mehr um ihr eigenes Leben kümmern wollen, aber ehrlich gesagt, denke ich auch, dass man sich sowas vorher überlegen muss. Bevor man den Stamm gründet. Irgendwo habe ich letztens gelesen, dass es sieben bis zehn Jahre dauert, bis eine Aufbaugruppe als Stamm wirklich autark und fest bestehen kann. Sieben bis zehn Jahre! Das ist eine Verpflichtung, bei der man als Gründer*in nicht einfach sagen kann „So, nach drei bis fünf Jahren bin ich raus.“. Das baut Druck auf. Druck auf die Kinder und Jugendlichen, die eigentlich ruhig und entspannt an’s Ehrenamt und die Pfadfinderei herangeführt werden sollen. Je sicherer und aufgehobener sich Sipplinge in ihrem Stamm fühlen, desto eher bringen sie auch mal Freund*innen mit, die dann auch wiederum gerne beim Stamm bleiben und später eine Aufgabe übernehmen können. Es braucht nicht immer riesige Meuten. Auch Sippen können größer werden, in dem die pfadfinder*innen-begeisterten Sipplinge immer neue Freund*innen anschleppen. Das hat zumindest in meiner Erfahrung gut funktioniert.

Schwierig wird’s, wenn man eine bzw. zwei große Meuten haben will. Ja – ein Stamm braucht viele Leute, um Sippen zu leiten usw. Aber gerade in der Anfangs- und Aufbauzeit ist eine große Meute eher kompliziert. Denn bei zwei Meuten braucht man im besten Fall schon sechs Leitungen. Das können viele Aufbaugruppen und junge Stämme gar nicht… stemmen (entschuldige den Wortwitz). Das baut dann wiederum Druck auf und bei jedem Stammeskompass bzw. jeder Jahresplanung wird sich die panische Frage gestellt: „Oh Gott MeuFü XY hört nächstes Jahr auf und SiFü Z macht nächstes Jahr Abi, wer macht dann die Meutenführung???“. Außerdem muss ein Stamm bei einer großen Meute mindestens jedes Jahr eine neue Sippe herausbringen, eventuell auch zwei. Was dann wieder die Suche nach Gruppenleitungen bedeutet. Und ich persönlich möchte meine Sipplinge nicht in eine Sippenführungsposition zwingen oder mit Druck arbeiten, nur weil der Stamm der Meinung ist, zwei Meuten seien eine gute Idee.

Auch eine terminliche Überlastung führt immer wieder zu Schwierigkeiten. Ja, man möchte vielleicht gerne als Aufbaugruppe an derundder LV Aktion teilnehmen und dann auch noch am Singewettstreit und dann auch noch ein Lager machen und mindestens zwei Fahrten und und und… Aber auch hier heißt es wieder: Haben wir überhaupt die Leute, um das zu organisieren, oder führt das nur zu Stress? Unter Umständen kann es auch schöner sein, einfach stabile Sippen- und Meutenstunden anzubieten und ein paar wenige große Aktionen zu haben, als sich mit Terminen zu überfrachten, nur weil man schnell im LV ankommen oder ganz dringend pfadfinderische Inhalte vermitteln will.

Schlussendlich gibt es auch immer wieder räumliche Probleme. Mit ein oder zwei Meuten und daraus entstehenden neuen Sippen, können viele junge Stämme dieser Masse an Gruppen räumlich gar nicht gerecht werden. Als junger Stamm kann man sich ja schon freuen, wenn man überhaupt irgendwo trockene Räumlichkeiten findet, wo man das Material lagern und sich zu den Gruppenstunden treffen kann. Viele Aufbaugruppen und auch viele alt-eingesessene Stämme sind immer wieder auf der Suche nach Räumen oder einem Stammesheim. Gerade in den Großstädten ist es besonders kompliziert.

Ich verstehe, dass schnelles Wachstum sinnvoll sein kann. Allerdings finde ich es gleichzeitig wirklich wichtig, auch andere Faktoren mit zu berücksichtigen.

  1. Können wir das überhaupt personell stemmen, ohne ältere Sipplinge unter Druck zu setzen?
  2. Bedeutet das nur noch Stress? Spaß, Freude und Leichtigkeit sollten bei den Pfadfinder*innen und auch bei älteren Sippen und RR-Runden nie zu kurz kommen.
  3. Wie sehen unsere Räumlichkeiten aus? Funktioniert das überhaupt? Haben wir Platz für so viele Meuten und Sippen?

Meiner Meinung nach, kann aus der Aufbauarbeit viel Stress herausgenommen werden, in dem man eher kleiner anfängt. Kleiner plant und langsam wächst. Langsam und stetig. Zusätzlich zu den Sippen nur eine Meute hat und vielleicht erstmal nur alle zwei Jahre eine neue Sippe herausbringt. Ein paar schöne Aktionen macht, schöne Erfahrungen sammelt. Und sich und die Sipplinge nicht überfordert. Ich glaube, auch aus einer Ruhe und einem langsamen Wachstum kann ein guter, stabiler und nachhaltiger Stamm entstehen. Es braucht nicht immer große Meuten. Denn die führen auch manchmal zu großen Problemen.

Cara von Stockert
Stamm Graue Biber & Stamm Cassiopeia
LV Hessen & LV Berlin-Brandenburg

 

Foto: Frederik Börner

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