Bula-Leben0117
NEUE BRIEFE

Was ist deutsch?

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Julia aus dem AK Politische Bildung denkt über “deutsch sein” nach.

“Liebe Leserinnen, liebe Leser, was ist deutsch? Auf diese Frage gibt es wahrscheinlich mindestens so viele Antworten wie Menschen in unserem Land.”
Schon mal gehört? So leitete Angela Merkel ihren Brief ein, der in der Bild-Zeitung veröffentlicht wurde und “eine kleine Auswahl [ihrer] Antworten […] – [ihr] Deutschland von A bis Z” enthält.
Nun erschien dieser Brief vor etwa einem Jahr, vergangenen Juni, Mitten im Bundestagswahlkampf. Interessant ist er dennoch auch heute noch. Wie die Vorstöße einiger Politiker in der letzen Zeit vermuten lassen, wird die Frage, was deutsch ist, uns noch weiter aktiv beschäftigen (müssen) – im Mittelpunkt steht dabei oft eine Diskussion über den Islam. In diesem Beitrag soll es aber nicht um diese spezielle Fragen gehen. Grund für meine tiefere Auseinandersetzung mit Angela Merkels Brief sind nicht die aktuellen Diskussionen und politischen Reaktionen, sondern vielmehr die Reaktion meiner Mutter auf eben diesen Brief; sie hatte ihn offensichtlich grundlegend anders verstanden als ich. Ihr solltet wissen, dass beide meine Eltern vor bald dreißig Jahren nach Deutschland gekommen sind, sich zwar wohl nicht als Deutsche sehen, sehr wohl aber als Teil von Deutschland. Und damit sind wir auch schon am Punkt angekommen.

Frau Merkel beschreibt ihre Auffassung des Begriffs “deutsch”: Sie nennt beispielsweise Einigkeit und Recht und Freiheit, das Ehrenamt (!), die Flüchtlingshilfe, die Gleichberechtigung, die Integration und den Naturschutz. Das sind Schlagworte, auf die wir uns vermutlich alle einigen können, sie sind in unserer Verfassung niedergeschrieben und – oder wohl eher aber? – sie sind Prinzipien. Vage Begriffe (das Ehrenamt könnte dabei wohl eine Ausnahme darstellen).

Konkrete Beispiele sind auch einige enthalten: Butterbrot, Bratwurst, Frühstücksei, Kartoffel, Lutherbibel, Pflaumenkuchen, Quarkspeise, Rouladen mit Rotkohl.
Zugegebenermaßen, die Lutherbibel habe ich aufgenommen, damit es sich nicht wie eine Einkaufsliste aussieht. Außerdem ist die Lutherbibel unstrittig deutsch – deutscher Herkunft. Dasselbe lässt sich auch für die anderen Schlagworte sagen, natürlich ohne eine alleinige Urheberschaft behaupten zu wollen.

Aber ist das deutsch? Ist das deutsch in dem Sinne, in dem es auch Vielfalt, Qualitätsarbeit, repräsentative Demokratie und die Lärmschutzverordnung sind?

Diesen Brief hatte ich damals überhaupt nur gelesen, weil meine Mutter ihn mir, wohl gemerkt sehr verärgert, zuschickte. O-Ton: “Wie viele Menschen essen hier täglich Rouladen mit Rotkohl und wie viele Pasta?”

Diese Frage fand ich zunächst sehr seltsam. Wahrscheinlich essen mehr Menschen täglich Pasta als Rouladen mit Rotkohl, alleine des Aufwandes wegen. Aber das macht Pasta doch noch lange nicht deutsch. Gleichzeitig bedeutet das eben genannte Konsumverhältnis aber, dass Pasta eindeutig zu Deutschland gehört.

Können das zwei unterschiedliche Sachen sein? Deutschland und deutsch? Für mich schon. Ich hatte ehrlich gesagt nie darüber nachgedacht, dass es anders sein könnte. Meine Mutter sah die Sache freilich ganz anders: Wenn deutsch sein (emblematisch) nur darin bestand, Butterbrot und Bratwurst zu essen, dann hieß das für sie, dass sie nicht in Angela Merkels Deutschland gehörte.
Ob das auch das ist, was Frau Merkel ausdrücken wollte, sei dahingestellt.

Die Wahrheit ist nun aber, dass sehr viele Menschen, würden sie den Brief ähnlich interpretieren wie meine Mutter, sich ausgeschlossen fühlen müssten. Menschen, die erst seit sehr kurzem innerhalb deutscher Grenzen leben, aber auch Menschen wie mich, die hier geboren und aufgewachsen sind, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Müsste man nicht also den Begriff “deutsch” weiter fassen oder aber ihn trennen von dem Bilde Deutschlands?

Wenn man Angela Merkels ABC um alle konkreten Beispiele streicht, dann bleiben die oben genannten Begriffe, wie auch die Lokalzeitung, Jugend musiziert und forscht, Recht und Gesetz und die Dialekte. Nun können diese Begriffe jedes Land, jede Nationalität beschreiben, die wir für ähnlich “weit” entwickelt halten. Dank unseres gemeinsamen Weges gilt das sicherlich für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und darüber hinaus für viele weitere Länder auf der ganzen Welt.

Macht es diese Begriffe, die Werte, die sie verkörpern, weniger deutsch? Ich meine, nein.

 

Der AK Politische Bildung hat es sich auch zum Ziel gesetzt, Diskussionen zu politischen Themen im BdP anstoßen und zu begleiten. Deine Ideen zum Thema kannst du auf pfa.de diskutieren. Der Artikel spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung der Autorin wieder. 
Zum Thema “zuhause” führt der AK vom 28.-30. September eine Aktion in Immenhausen durch. Hierzu bist du herzlich eingeladen.

Angela Merkels Brief findest du hier: bdp.de/wasistdeutsch-merkel.

 

Foto: Simon Vollmeyer

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