BdP_2019-06-09_D5_4596
NEUE BRIEFE

Wie gehen wir mit diskriminierender Sprache in unserem Liedgut um?

,

Unserer Erfahrung nach bisher gar nicht, in unserem Umfeld wurde jedenfalls noch nie offen über unser Liedgut diskutiert.

In den letzten Monaten und Jahren war diskriminierende Sprache für uns beide immer wieder Thema. Für uns als Weiße cis-Frauen erst nur in Bezug auf eigene Diskriminierungserfahrungen (Sexismus), aber dann auch immer mehr in Bezug auf andere diskriminierte Gruppen.

Schon seit geraumer Zeit beschäftigen wir uns mit Politik, mit Sexismus und Rassismus und versuchen, unsere Sprache zu optimieren. So kamen wir irgendwann auf den Gedanken: Wie sieht es eigentlich in unserem Bündischen Liedgut aus? Welche Wörter und Bezeichnungen benutzen wir und von welchen Künstler*innen und Autor*innen singen wir Lieder, ohne zu wissen, wer dahintersteckt?

Wir stellen uns jedoch nicht die Frage „Was DÜRFEN wir heutzutage denn überhaupt noch sagen?“ sondern „Was WOLLEN wir überhaupt noch sagen?“, denn wir wollen in einer Welt leben, in der Sprache nicht diskriminiert, verletzt oder ausschließt. Mit dieser Idee im Hinterkopf haben wir mal durch unsere Liederbücher geblättert.

Die ersten Lieder, die uns ins Auge fielen, waren „Panama“, „Ich kenne Europas Zonen“ und „Johnnys Spelunke“. Alles bekannte Lieder, die nicht selten in großen Singerunden zusammen gesungen werden, wo dann Begriffe und Sprache unreflektiert reproduziert werden. Wiederholt werden dann in „Ich kenne Europas Zonen“ Begriffe wie das Z-Wort (die diskriminierende Bezeichnung für Sinti*zze & Rom*nja) erwähnt.
„Ich bin ein gemeiner, zerlumpter Z****ner, ich habe keine Heimat, kein Geld…“
Und das N-Wort (die diskriminierende Bezeichnung für Black People of Color) in Panama.
„Auf den Zuchthaustreppen sieht man N**er steppen…“
In „Johnnys Spelunke“ wird eine abwertende Bezeichnung für Japaner*innen benutzt: „Jim Baker der alte Halunke und Jo der gelbe J*ps“

Besonders das Z-Wort hat sich stark in unserem Liedgut etabliert. So findet man es auch zum Beispiel in:
Stunde der Orangen: „Straßen auf und Straßen ab schwirren die Gitarrenlieder, seidne Vögel auf den Lippen der Toreros und Z****ner.“
Lumpenbrüderschaft: „…finden im Z****nerkarren Nachtquartier und Liebe.“
Ore, ore: „Wir Z****ner sausen immer wie die Winde, wir Z****ner kenn´die ganze Welt.“

Bezogen auf die letzte Ausgabe der pfade und Neuen Briefe, in der Kipling und Baden-Powell aufgrund ihrer kolonialis-tischen Vergangenheit kritisch behandelt wurden, haben wir uns auch ein paar Autor*innen der Texte angeschaut, und dabei festgestellt, dass „Welle wogte“ im Original auch von Rudyard Kipling (Autor des Dschungelbuchs) ist. Dieser Text ist im Grunde nicht im rassismuskritischen Sinn schwierig, aber wir finden es wichtig zu wissen, welche Person hinter dem Geschriebenen steht. Noch fragwürdiger erscheint uns Hans Baumann, der „Gute Nacht, Kameraden“ geschrieben hat und ein NS-Funktionär war. Es ist ein häufig gesungenes und schönes Gute Nacht Lied, nur können wir leider mit dem Gedanken an seinen Autor nicht mehr wirklich gut schlafen. Da stellen wir uns die Frage, welche Reaktion jetzt die richtige ist: Streichen wir das Lied nun komplett aus unseren Liederbüchern oder weisen wir nur auf die Ideologie des Verfassers hin und singen es zukünftig trotzdem?

Eine Antwort darauf haben wir nicht, aber wir würden uns wünschen, dass Fragestellungen wie diese zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Wir finden es wichtig, ein Bewusstsein für Texte, Lieder und deren Autor*innen zu schaffen und die Ursprünge zu kennen.

 

Autor*innen:

Nele Euler (Stamm Pilgrim Falkoni, Neuwied LV Rheinland-Pfalz/Saar)

Ronja Ley (Stamm Falke, Altforweiler LV Rheinland-Pfalz/Saar)

 

Foto: Paavo Blofield

4

Was denkst du?

  • Schlaubi

    Ein Liedautor, von dem wir auch viele Lieder singen (Bruder nun wird es Abend, Was ließen jene, manche sagen auch, dass Unter den Toren von ihm stammt, bin mir da aber nicht so sicher gerade), ist Erich Scholz, besser bekannt als olka. Er trat freiwillig in die Waffen SS ein und hat einen Todesmarsch angeführt (Quelle hier Wikipedia). Das spielt zwar in seinen Liedern keine Rolle, ist aber denke ich beim Reflektieren des eigenen Liedguts ein wichtiger Faktor, den man bedenken sollte.

  • aga

    Hallo,
    vor nun bald 4 Jahren hat der LV NRW genau dies auf der LV diskutiert und den AK Liedgut eingerichtet.
    Wir haben damit begonnen, alle Lieder unseres Landesliederbuches “Der Streifzug” genau darauf zu untersuchen.
    Es ist eine spannende und sehr aufwendige Aufgabe, da nicht immer klar ist, wer hinter den Lieder steht.
    Gerade in den Bünden wurden viele Lieder nur unter dem Fahrtennamen weitergegeben (z.B. “Sturm und Drang”, das auf der Rückseite dieser Pfade steht. Es wurde von Bounty, Heiner Knoch geschrieben. aber wer weiss noch , das er aus dem Stamm Burgund, LV Berlin, kommt?).
    Als wir den AK in NRW gründeten war ich sofort dabei, denn es ist wichtig zu wissen, was wir da singen und woher es kommt.
    Mittlerweile kommt das Bewusstsein in vielen LV’s auf, aber auch bei der VCP, die dazu auf der letzten BV einen Antrag hatte.
    Hier wäre eine Vernetzung der einzelnen Akteure gut und wichtig.
    Für NRW hat uns Corona sehr in der Arbeit gehemmt. Hier müssen wir wieder aktiv werden und weiter machen.
    Die Frage, die wir als AK nicht beantworten können ist, wie gehen wir mit dem Wissen danach um.
    Manchmal kann man einfach das Wort austauschen und damit das Lied entschärfen (Panama, da kann man da N-Wort einfach durch “Menschen” ersetzen).
    Aber das Z-Wort wird schwieriger. Zum einen ist es eine Herabwürdigung der Sinti*zze & Rom*nja, aber eigentlich drückt es auch eine Bewunderung durch uns Pfadfinder für die vermeintlich freie Lebensform aus.
    Was machen wir mit Liedern, die von strammen Nazis geschrieben wurden?
    Was ist mit Liedern die von IRA-Teroristen, oder Stalinisten geschrieben wurden? Wo fangen wir an, wo hören wir auf?
    So gibt es viele Grenzfälle, die nicht einfach zu händeln sind.
    Hier sehen wir als AK erst einmal die Augfgabe darin, dieses Wissen zu bündel und transparent zu machen.
    Dann kann jeder für sich entscheiden, wie er damit umgeht.
    Wir freuen uns hier auf Austausch.
    Der AK Liedgut im LV NRW ist über ak-liedgut@bdpnrw.de erreichbar.

    Gruß und Gut Pfad

    aga

  • Ratzel

    Ich finde es sehr wichtig, über die Hintergründe eines Liedes Bescheid zu wissen. Vielleicht auch über den Verfasser und seinen Hintergrund. Manche Dinge muss man in den zeitlichen Kontext setzen und betrachten. Dabei ist Aufklärung auch in Singerunden oder Singkreisen wichtig.
    Einige Lieder verbieten sich dann vielleicht und bei anderen kann man noch ein Auge zudrücken und es reicht, die inhaltliche Anmerkung dazu. Ich würde da kein Dogma rausmachen.

  • Malte

    Hallo zusammen,

    Ich finde die im Artikel und den Beiträgen aufgeworfenen Fragestellungen sehr wichtig. Ich Denke wir dürfen aber nicht alles verbannen, nur weil ggf gewisse Schlüsselwörter enthalten sind. Der Zusammenhang ist mir hier wesentlich wichtiger.
    So wurden die Wörter “Neger” oder “Zigeuner” bis in die 1980er Jahre in der deutschen Umgangssprache verwendet, ohne damit eine Diskriminierung zu meinen.
    Im Lied “Ich kenne Europas Zonen” kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass es sich gegen die Diskriminierung fahrender Volksgruppen stellt. Der Begriff wird hier geradezu als Selbstironie gebraucht. Eine Diskriminierung kann ich hier nicht entdecken, eher im Gegenteil. Hier ist aber mit Sicherheit eine Liedunterschrift mit einer Erklärung sehr sinnvoll.
    Das Lied “Burschen Burschen” ist dagegen zum einen Alkoholverherrlichend als auch sexistisch, besonders die Variante mit dem Umdichtung in der letzten Strophe “bis sie Schr…” Diesem Lied würde ich keine Träne nachweinen, wenn man es nicht wieder neu abdruckt.
    Bei unseren Lieder steht in aller Regel der Autor nicht im Vordergrund. Die meisten wissen noch nichteinmal wer der Autor eines Liedes war. Hier kann man sicherlich nicht jedes Lied verbannen wollen. Das würde den fraglichen Autoren im Nachhinein zu mehr Ruhm verhelfen als sie verdienen.

    Als Quintessenz würde ich sagen:
    – Betrachtet jedes Lied für sich als ganzes.
    – Betrachtet nicht einzelne Worte. Und wenn man es nicht lassen kann einzelne Worte zu betrachten, betrachtet Sie aus dem Blickwinkel eines Zeitgenossen als das Lied geschrieben wurde
    – Guckt nicht zu sehr auf den Autor, sondern auf die Aussage

    Ein Lied sollte:
    – nicht diskriminierend oder sexistisch sein in seiner Aussage,
    – keine Ideologie verherrlichen,
    – keine extreme politische Meinung verherrlichen
    – keinen Krieg / Gewalt verherrlichen.

    Und alles mit einer gehörigen Portion Augenmaß betrachtet. “In Gori Kaseki” verherrlicht sicherlich keinen Krieg, es will vielmehr den Schrecken des Krieges beschreiben. Hier sollte man sich aber überlegen, ob es wirklich Wölflingsgerecht ist.

    Viele Grüße und Gut Pfad

    Malte

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ausrechnen * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.