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NEUE BRIEFE

Zuschriften zum Thema “Kritisches Liedgut”

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Einige Lieder möchte ich nicht vermissen

Als Altpfadfinder betrachtet (Jahrgang 1945), waren Pfadfinderlieder immer ein wichtiges Gut im Pfadfinderleben.

Natürlich ist altes Liedgut aus heutiger Sicht kritisch zu beurteilen und eventuell zu streichen.

Einige alte Lieder möchten ich und meine Pfadfinderfreunde jedoch nicht vermissen, denn dieses Liedgut gehört zum BdP, zu den Wölflingen, Pfadfindern und Ranger/Rover und ich weiß, dass diese Lieder auch noch gern gesungen werden.

Wegen der Menge des (guten, alten) Liedgutes möchte ich jedoch auf eine Aufzählung verzichten.

Gut Pfad

Hännes

Hans H. Gold (Hännes)

ehem. Mitglied im Stamm Berglöwe Fürstenhagen

heute Mitglied im Eltern – und Fördererkreis der Pfadfindergruppe Fürstenhagen


Den Landesverband “zum Singen” 

Ich bin im 85. Lebensjahr und seit 1952 Pfadfinder in Berlin. Vorher war ich Junger Pionier in Leipzig und von Honecker (damals FDJ-Chef) aus den Pionieren und der DDR geworfen als Kind, aber schon dort mit Musik befasst. In West-Berlin war ich einige Jahre Landesvorsitzender und stand wegen starker bündischer Tendenzen bei der Bundesleitung (damals Gießen) in geringem Ansehen.

Zusammen mit Schrat (R. Hapke), Rony Schindelhauer, Rudi Rogoll, mit Teilen der Sita (Singegruppe) und weiteren Leuten hatten wir so ab 1983 damit begonnen, den Landesverband Berlin “zum Singen” zu bringen, was nach schweißtreibender mehrjähriger Arbeit gelang.

So ab 1985 räumten die Gruppen und Stämme quer durch die BRD die vordersten Positionen bei den Singewettstreiten von Hamburg über Bula Haselünne und sonstiges Überbündisches ab. Das Niveau war recht hoch, Tonträger weisen das nach. Einige davon befinden sich beim Stamm Burgund, die ich zu dessen 50. Jubiläum zur Verfügung gestellt hatte. Originalaufnahmen von den Berliner Sängerfesten befinden sich beim DPB in Berlin. Im BdP wurde gelästert: Wenn es irgendwelche Probleme gab beim LV Berlin waren sie lösbar, wenn man sie singen könnte.

Das Liedgut beruhte wesentlich auf dem „Turm“ und „Schwarzer Adler“. Der Stamm Burgund hat seinerzeit prägende eigene Liederbücher und -sammlungen herausgegeben, was später in fast allen Berliner Stämmen erfolgte. Lothar Duclos (Latte) hat in seinem Archiv einige davon (liegen im Mossestift BdP-Zentrum in Berlin). Mit helm (Helmut König), dem Herausgeber des „Turm“ war noch bis 1988 über eine Sammlung nach dem Meißnertreffen verhandelt worden. Das ist dann eingeschlafen.

Auch nach vielen Jahrzehnten ist die Singekultur in Berlin immer noch bemerkenswert. Die Sache war es wert: Drei Jahre sechs Tage in der Woche bei den verschiedenen Stämmen. Ich meine das wörtlich! Ich war jeden Abend bei einem der Stämme, auch beim DPB (!), habe Gitarrenkurse gegeben, Lieder eingeübt u.v.m. und meine Familie kaum noch gesehen, hatte dabei noch einen Beruf (Jurist) und war im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Dabei hatte ich aber auch viel Hilfe – siehe oben. Wir haben viel Spaß gehabt, es gab wilde Feste, das Tollste 1984 in Griechenland bei Katerini am Fuße des Olymps im Rahmen einer Landesfahrt mit 50 Teilnehmenden.

Vier meiner Enkel waren auf dem letzten Bula….

Gerold Homberger

Luckenwalde


Jedes Ding hat (mindestens) zwei Seiten

Liebe Pfadis,

gerne möchte ich zum Thema “kritisches Liedgut” etwas fragen: Gibt es außer den genannten Möglichkeiten “ändern oder verbieten” noch andere Ideen mit unliebsamen Liedern umzugehen?

Natürlich wollen wir alle “den Anderen achten”. Das ist – denke ich – keine Frage. Dazu gehört, dass wir keine Lieder singen, in denen Menschen verspottet oder verachtet werden.

Jedes Ding hat (mindestens) zwei Seiten: Meinem Gefühl nach etabliert sich in unserer Gesellschaft gerade eine “Besserwisserei”, die schon Richtung “Verbote” geht – empfindliche Menschen sehen schon eine “Bücherverbrennung” kommen. Daher möchte ich gerne eine zweite Frage stellen: Was bewirken Verbote? Oder anders ausgedrückt: Wem nützen diese Verbote? Wird die Lage bestimmter Menschen verbessert, wenn wir bestimmte Wörter zu Un-Wörtern erklären und aus unseren Liedern verbannen? Ich meine, wenn wir menschlich miteinander umgehen, brauchen wir keine Un-Wörter oder Un-Lieder, das wird sich anders regulieren – wenn wir menschlich miteinander umgehen…

Ich erinnere mich an meine Zeit als Meutenführer, als wir bestimmte Lieder nicht von den Wölflingen hören wollten. Gerade dadurch wurde z. B. der “Piet” ein richtiger Ohrwurm.

Viele Grüße und Gut Jagd

Tin (Axel Georges)

Ich bin (bis heute;-) im Stamm St. Jörg in Karlsruhe, war dort von 1981 – 1985 Meutenführer und bis 2000 in diversen KfM-Teams.

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Was denkst du?

  • Julia

    Ich kann es verstehen, dass manche Pfadis an gewissen Liedern hängen die aus heutiger Sicht rassistische/sexistische/diskriminierende Erzählweisen reproduzieren. Je nach dem was man mit diesem oder jenem Lied erlebt hat verbindet man wertvolle Momente tolle Abenteuer und eine schöne Zeit damit. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Meisten, selbst wenn sie solche Lieder singen keine böse Absicht damit verfolgen.

    In der Diskussion über kritisches Liedgut geht es mir persönlich auch nicht darum irgendjemandem den Mund zu verbieten, ich stelle mich auch dagegen, dass irgendwelche Lieder oderLiedteile ohne gründliche Auseinandersetzung verboten werden. Vielmehr ist es mir wichtig (nach unseren Pfadiregeln:) „…kritisch zu sein und Verantwortung zu übernehmen“. Und so müssen wir auch bei unserem Liedgut kritisch sein und Verantwortung übernehmen. Ich finden es sehr wichtig, über unser Liedgut und die rassistischen und diskriminierenden Begriffe und Erzählweisen darin aufzuklären und sie auch zu benennen wo sie uns begegnen.

    Ich würde mir viel mehr wünschen das die Diskussion über kritisches Liedgut weg geht von “oh nein, jetzt möchte man mir mein Liedgut wegnehmen, verbieten, zensieren, verändern” mehr hin zum kritischem Hinterfragen und Verantwortung übernehemen. Wir alle wissen, dass Worte sehr verletzend sein können, auch wenn sie mit den allerbesten Absichten ausgesprochen werden.

    Ich finde es sehr schade, dass man vielen Singerunden immer noch das Z.-Wort hört ohne, dass irgendjemand über das Wort aufklärt. Das Z.-Wort ist eine Fremdbezeichnung. Sinti*zze und Rom*nja haben sich niemals selbst so bezeichnet und die meisten Angehörigen der Minderheit lehnen diese Bezeichnung als Z.-Wort als diskriminierend ab. Noch in alten Brockhaus und Dudenausgaben wird das Wort von „Ziegenhauer“ abgeleitet und mit „Abschaum“ und „Vagabund“ gleichgesetzt. Der Buchstabe Z wurde Sinti*zze und Rom*nja in den Konzentrationslagern der Nazis zusammen mit einer Nummer auf die Haut tätowiert. Auch der Zentralrat deutscher Sinti & Roma lehnt diese Bezeichnung ab. Auf ihrer Internetseite findet ihr eine ausführliche Erläuterung zu dem Begriff Z. und warum die meisten der Sinti*zze und Rom*nja diesen Begriff als verletzend und diskriminierend erleben.

    Wir sind ein mehrheitlich weißer BdP, in dem sich die Mehrheit der Mitglieder wenig bis keine Sorgen um Finanzielles machen muss. Wenn wir unsere vielfältige Gesellschaft auch in unserem Verein breiter einbeziehen und diverser werden möchten, müssen wir uns mehr gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen und darüber aufklären. Denn Stand heute ist leider, dass sich beispielsweise Angehörige der Sinti*zze und Rom*nja sich läääängst nicht bei allen unseren Singerunden wohlfühlen können und wir sie so eher aus unserem Verband ausschließen.

    Ich fände es wirklich toll wenn wir Empathie gegenüber Minderheiten vor den Wunsch stellen diskriminierende Erzählweisen in Liedern zu reproduzieren, die für diese sehr verletzend sein können, nur weil wir das Lied gerne singen. Ich fände es schön, wenn wir uns öfter in Ihre Sichtweise hineinversetzen oder auch Bücher/Filme/Lieder von ihnen konsumieren wenn wir über sie singen möchten.

    Ich fände es schön, wenn wir in unserem Verband öfter ins Gespräch über unsere Lieder und seine Autoren kommen uns mehr damit auseinander setzen was wir singen, was es bedeutet, was für Sichtweisen wir reproduzieren und wer die Lieder geschrieben hat.

    Die Frage die sich jeder Pfadi der versprochen hat “ich will kritisch sein und Verantwortung übernehmen” stellen sollte (am besten nachdem man sich auch damit auseinandergesetzt hat was man so singt) ist für mich nicht “darf” ich dieses oder jenes Lied noch singen, sondern “möchte” ich dieses oder jenes Lied noch singen.

  • Julia Duesterberg

    Durch Zufall den wunderbaren Kommentar von Gerold gefunden, der sehr gut die Zeit der 80er im LV Berlin widerspiegelt. Bis heute ist Musik, das Singen ein tragender Pfeiler in den BdP Stämmen Berlins und ja, wir hatten schon damals diese “Reputation”. 😉 Jede Generation hat ihre eigenen Sichtweisen und Auslegungen zum Liedgut gehören dazu (Diskussionen gab es auch damals). Ich halte nichts von übertriebener “cancel” Kultur oder Verboten. Es gibt mit Sicherheit Lieder, die in ihrer Originalform nicht mehr gesungen werden sollten, bevor ein Teil unserer kulturellen Identität mit/im deutschem/n Liedgut (mit Volksmusik tun wir Deutschen uns sehr schwer) verloren geht oder von sehr unerwünschten Bewegungen für sich vereinnahmt wird, ist es wichtig und richtig, sich auseinanderzusetzen und weiterhin zu singen.

    Julia (duester)
    ehem. Teutonen, Berlin * einmal pfadfinder immer pfadfinder

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