Was bedeutet dir deutsche Wiedervereinigung eigentlich für den BdP?
,Als ich das Thema in der letzten pfade las, war klar, da muss ich was schreiben, war ich doch von März 1992 bis Dezember 1994 Tutorin in den Neuen Bundesländern. Hm, was ist denn das? Und das ist doch mindestens schon vier Pfadfindergenerationen her, wen interessiert das denn heute noch?
Es gab damals zum Aufbau freier Träger in den Neuen Bundesländern Kontaktstellen und Tutor*innen. Das waren unabhängige Stellen, die Jugendliche darüber informieren sollten, was alles möglich ist, wo man sich wie engagieren kann usw. Von den Kontaktstellen gab es insgesamt 130, in jedem Landkreis (und auch in manchen Städten) mehrere.
Tutor*innen gab es insgesamt etwa 77. Die freien Träger konnten sich unabhängig von ihrer Größe um eine Stelle bewerben.
Ich war damals schon lange im BdP, war in NRW einige Jahre Landesbeauftragte für die Pfadfinder*innenstufe, habe den Stamm Weiße Rose in Dortmund mit aufgebaut, war zu dem Zeitpunkt aktive Meutenführerin, war aktiv auf Ausbildungskursen, kannte mich aus mit der Arbeit in unterschiedlichen Strukturen, war ausgebildete Diplom Sozialpädagogin und mutig genug, mich dieser Aufgabe zu stellen.
Es gab zu dem Zeitpunkt einige wenige Adressen im ehemaligen Ostdeutschland. Halle, Cottbus, Leipzig, Jena, Rathenow, Jerichow, Ludwigslust und Rostock.
Meine Aufgabe war es nicht, Stämme zu gründen und Gruppenstunden zu gestalten, sondern zu vernetzen, auszubilden, Strukturen zu schaffen, zu empowern. Was ich zu dieser Zeit gemacht habe, was sehr umfassend. Unter anderem habe ich Gespräche mit Jugendämtern geführt, Elternabende organisiert und veranstaltet, Konzeptionstreffen zum Thema Aufbau geführt, Begegnungen zwischen Ost und West initiiert, Basiskurse geleitet, Öffentlichkeitsarbeit geleistet (Danke u.a. Sippe Vulpecula -Stamm Oberon, Gilde Cassiopeia – Stamm Weiße Rose) und vieles mehr.
Durch die gemeinsamen Termine der Tutor*innen gab es dann auch Kooperationen mit anderen Trägern, was man sich zum derzeitigen Zeitpunkt im Westen noch gar nicht vorstellen konnte und was bei manchen Projekten der Bundesvorstand erst nach der Durchführung erfahren hat, weil man damals nicht so verbandsübergreifend zusammengearbeitet hat. Zum Beispiel gab es ein Seminar zum Thema Gewalt gemeinsam mit der AWO-Jugend Kühlungsborn, aktiver Jugendschutz Rostock, DAG-Jugend Hamburg, BdP für Menschen aus den neuen und alten Ländern oder auch den Thüringer Pfadfinderlauf – zusammen mit DPV und BdP für neue und alte Ländern.
Ich habe in den vielen Stämmen und Aufbaugruppen, die sich damals gegründet haben, viele wirklich tolle Menschen kennen gelernt und nachdem ich ab 1993 meine Tochter Hannah (in der Zwischenzeit Lilofee) mitgenommen habe, war ich für die Leute aus den Neuen Bundesländern auch nicht mehr die Wessa, die uns erzählen will, was richtig ist, sondern ich war die Mutti. Dadurch gab es ganz anderes Vertrauen und andere Gesprächsebenen.
Aber wie können sich Stämme gründen und aktiv werden ohne Tradition und Geschichte? Auch nicht im Nachbarort! Keine Stammesgründung durch Zellteilung! Keine Stämme mit Tradition im Landesverband! Wie können Menschen, die Verantwortung übernehmen, erahnen, was zum Beispiel ein Sippenleben, durchgesungene Nächte, ein Leben auf Fahrt mit einem macht? Da reicht es nicht, eine Kohte hinzuschicken und „Macht mal“ zu sagen.
Im Dezember 1994 wurde das Programm vom Bundesministerium nicht weiter verlängert. Die Zeit war anstrengend für mich, aber auch sehr ereignisreich und prägend. Ich könnte noch einige Geschichten erzählen, aber das würde den Rahmen der pfade sicher sprengen. Aber vielleicht gibt mein Bericht einen kleinen Einblick über knapp drei Jahre Geschichte in den neuen Ländern.
Warum ich das alles noch so präsent habe: Ich habe da ein Buch, in dem stehen meine Notizen zu der Zeit, bei dem ich den Aufbau Ost begleiten durfte.
Ich freue mich sehr über die Initiative Wachsen in Sachsen und ja, jetzt sind es schon – 30 Jahre.
Klette (Brigitte Christiansen)
Stamm Weiße Rose – Dortmund
Foto: Stephanie Pieper, Bundeslager 1993 in Friedeburg
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