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Train of hope Dortmund – ein Zug der Veränderung

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Stamm Weiße Rose, Dortmund
LV Nordrhein-Westfalen

Jeder weiß, dass sich das eigene Leben verändert, wenn man Kinder bekommt. Ich bin seit mehr als 27 Jahren Mutter und ich ahnte damals nicht, dass der Einfluss der eigenen Kinder so lange wirkt.

Ronja (rechts), Landesvorsitzende in NRW
Ronja gehört von der ersten Stunde an zu denen, die Verantwortung übernehmen.

Ein paar Beispiele

Beispiel 1: Was gehört zu einem echten Studentenleben unserer Tochter Lilofee (Bundesrudel und AK Flucht und Asyl), die in Dresden studiert?

Antipegidademos, als man hier im Westen überhaupt noch nicht wusste, was Pegida ist und warum die auf der Straße sind. Sie hat sich in Freital und in Heidenau für Refugees engagiert und mit den Kindern gespielt und die Leute unterstützt.

Beispiel 2: Was macht man eigentlich als Familie an Heiligabend?

Manche gehen zur Kirche, andere kochen zusammen, einige Jahre waren wir als Familie im Theater um Weihnachten bei den Schmuddels zu erleben, auch wenn Ronja und Lilofee schon zu alt für das Theater waren (andere lassen sich von der Weihnachtsmesse auch nicht mehr überraschen). Wir waren Heiligabend gemeinsam als Familie vor einer Asylbewerberunterkunft in Dortmund, weil die Nazis Schrottwichteln angedroht haben.

Beispiel 3: Was liegt Sylvester an?

Wir waren als Familie bei der AntiNaziKundgebung und wurden als „Bürgerliche“ von der Polizei eingekesselt.

So könnte ich weiter fortfahren, aber seit dem 5. September ist hier in Dortmund alles anders:

Am Abend des 5. September hat unser Sohn Frieder (15 Jahre alt und derzeit Sippenführer und Materialwart im Stamm Weiße Rose) auf Twitter gelesen und uns dann mitgeteilt, dass der erste „train of hope“ Dortmund gegen Mitternacht erreicht und seitdem ging es wie ein Lauffeuer durch den Stammesrat. Frieder hat aufgerufen mit zukommen und zu helfen.

Seit dem gibt es zwei Zeiten. Die Schul- bzw. Arbeitszeit und die Zeit im Keuninghaus.

Dort in der Skaterhalle sind Freiwillige dabei die Sach- und Kleiderspenden zu organisieren und unsere Tochter Ronja (27 Jahre alt und Landesvorsitzende in NRW) gehört von erster Stunde an zu denen, die Verantwortung übernehmen.

Auf Twitter immer vernetzt
Auf Twitter immer vernetzt

Wir Eltern, aber auch viele aus dem Stammesrat Weiße Rose sind dort aktiv, helfen und hoffen, somit die Not der ankommenden Refugees zu lindern.

Man will uns in die Schranken weisen

Die „besseren“ Helfer sind natürlich die offiziellen von Malteser und Rotem Kreuz wie auch vom Ordnungsamt. Die haben eben Strukturen, mit denen man umgehen kann. Die ganzen freiwilligen Helfer aus der Skaterhalle mit den Kleiderspenden, die waren ja so unorganisiert. Man will uns in unsere Schranken weisen, aber Ronja, als Vertreterin im Krisenstab hat immer wieder unsere Interessen und Forderungen eingebracht, dass die Refugees mehr Zeit brauchen, damit wir die benötigte Kleidung ausgeben können, dass die Refugees auch ungefragt Hygienetüten für Frauen und Männer bekommen (sie würden nicht fragen), dass alle Familien mindesten eine Decke brauchen, und dass diese Decken kurz vor dem Einsteigen in die Busse verteilt werden dürfen, dass der Babyraum von freiwilligen Frauen betreut wird und nicht von Männern im Großväteralter…

Beim Kisten packen
Beim Kisten packen

Wir dürfen nicht mehr helfen

Ab Dienstag dürfen Freiwillige unter 18 Jahren nicht mehr helfen, sie wären nicht versichert, wenn etwas passiert. Wir haben mit unserem blau/gelben Halstuch ein „all-inclusive“-Bändchen erarbeitet, es wird uns vertraut und es dürfen auch die 14-jährigen Pfadfinder aus unserem Stamm mit helfen.

Immer wieder müssen wir erklären, was Pfadfinder sind

Wir werden in Kluft mit unseren Halstüchern immer freudig begrüßt, man weiß, dass wir seltsame Namen haben, aber unkompliziert überall anfassen, wo es notwendig ist. Während des Sortierens mussten alle von uns immer wieder erklären, was Pfadfinder sind, was wir so machen, warum wir Weiße Rose heißen und wie man Pfadfinder werden kann…

Aber wir wollten ja einfach nur Not lindern, die Kinder, die Barfuss kommen, die Familien, die nur noch die Dinge haben, die sie am Körper tragen und die Wäsche in den letzten 5 Monaten nicht wechseln konnten, Männer in kaputten Flip-Flops in T-Shirt und mit kurzer Hose und wir haben schon bald keine Winterjacken mehr für Kinder und keine Männerschuhe mehr ab Größe 41, Auch Kinderwagen sind aus, wir dürfen aber in den sozialen Netzwerken nicht mehr zu Spenden aufrufen, obwohl wir für den nächsten Zug, der kommt, höchstens noch 15 Decken haben, und wir mindesten 250 für die 450 Flüchtlinge brauchen.

Alle packen mit an
Alle packen mit an

Die Spenden werden jetzt zentral von einer Person im Sozialamt verwaltet.

Wir haben es am Freitagabend erfahren und der nächste Zug kommt Sonntagabend, wie sieht in der Zeit die Koordinierung des Sozialamtes aus?

Der letzte Zug, der am Freitagabend nach 23:00 Uhr Dortmund erreicht, hatte mindestens drei Schwangere im Zug. Zwei Frauen haben die Kinder im Zug bekommen, ein Kind wird im Keuninghaus geboren, zum Glück ist eine Hebamme da.

Und auch die glückliche Kinderaugen, die wir sehen, wenn diese ein Kuscheltier, ein Lächeln, einen neuen warmen Pullover oder einen Lutscher bekommen, zeigen uns, dass es richtig ist, nach dem anstrengenden Schultag, oder nach dem normalen Arbeitstag noch 6 – 8 Stunden in der Kleiderkammer zu arbeiten.

Glückliche Kinderaugen
Glückliche Kinderaugen

Zwischendurch nur zwei Stunden Pause – sicher kein Einzelfall

In der Zwischenzeit ist das Keuninghaus und die Kleiderkammer nur noch jeden 2. Tag geöffnet. An den anderen Tagen gehen die Züge nach Düsseldorf. Am vergangenen Freitag bin ich um 10:00 Uhr im Keuninghaus gewesen und am Samstagmorgen um 3:00 Uhr war ich wieder zu Hause. Zwischendurch habe ich zwei Stunden Pause gemacht, trotzdem war es mehr als ein normaler Arbeitstag und da war ich sicher kein Einzelfall.

Die Leute in der Halle, Schüler, Studenten, Angestellte, Arbeiter, Arbeitslose, Selbstständige aus allen möglichen Branchen, Deutsche, Türken, Albaner, Serben, Marokkaner, Kurden, Iraner, Syrer, Franzosen, Tamilen, Vietnamesen, Bulgaren und andere und alles natürlich auch in weiblicher Form, sorry.

Menschen, die sonst nie gemeinsam an einem Ort miteinander reden und arbeiten würden, aber es geht darum zu helfen und willkommen zu heißen.

Immer müssen wir erklären, was Pfadfinder sind
Mit unserem Blau/Gelben Halstuch werden wir überall freundlich empfangen.

Wann der Strom der Flüchtlinge abreist?

Keine Ahnung, derzeit ist noch nicht damit zu rechnen. Die Refugees aus den Zügen sind ja nur kurz bis sehr kurz in Dortmund. Zum Stand August 2015 gab es nach offiziellen Infos 3500 Asylbewerber in Dortmund. In der kommenden Woche wird eine Turnhalle in unserem Stadtbezirk von 100 Flüchtlingen bezogen, ein Containerdorf für 300 Flüchtlinge in etwa 1 Kilometer Entfernung von unserem Stammesheim ist in Planung und Vorbereitung. Es wird sich einiges in unserem Stamm verändern, wir sind bereit.

Ich will dem Frieden dienen und mich für die Gesellschaft einsetzen, in der ich lebe.

Klette
Stamm Weiße Rose
Dortmund

Den oben stehenden Artikel habe ich an einem Tag geschrieben, als kein Zug gekommen ist. Für etwa 3 Wochen lang war Dortmund abwechselnd mit Düsseldorf Drehscheibe für die Ankunft und Verteilung der Flüchtlinge. Dann war Ende, von einen Tag auf den anderen übernahm Köln die Funktion. Schön außerhalb der Stadt am Flughafen, wo keine Freiwilligen hin kommen und die Hilfsorganisationen nicht gestört werden, von Menschen, denen es wichtig ist zu helfen.

Nun haben wir erfahren, dass Dortmund ab 16. November wieder die Funktion der Drehscheibe übernehmen wird, mal sehen wo und wie. Wir sind bereit.

Ronja und das Engagement des Stamm Weiße Rose könnt ihr hier auf Twitter verfolgen.


Bei uns Willkommen!Ihr geht auf die Straße. Ihr macht den Mund auf. Ihr ladet ein. Ihr sortiert Kleiderspenden. Ihr setzt Zeichen. Ihr organisiert Aktionen und Infoabende. Ihr fragt euch nicht, ob ihr helfen sollt. Ihr fackelt nicht lange, ihr macht einfach. Ihr engagiert euch mit so viel Herzblut für Menschen auf der Flucht. Ihr zeigt, dass jede und jeder

Bei uns Willkommen!

ist. Und in der nächsten pfade-Ausgabe erzählt ihr eure Geschichten.

Ihr habt uns schon beeindruckende Geschichten über euer Engagement für geflüchtete Menschen zugeschickt, die nur darauf warten, gedruckt zu werden. Und wenn ihr eure Geschichte mit dem ganzen Bund teilen möchtet – dann bloggt hier auf pfa.de oder postet sie mit dem Hashtag #beiunswillkommen auf Facebook, Twitter, Instagram oder wo auch immer ihr gerade seid!

Lest alle Geschichten zum Thema Bei uns Willkommen!

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