BuLa22_Cap-74s
Liedgut und Singekultur

Interview mit Pfadfinderliedermacher*innen

,

Die Fragen beider Interviews stellte Cara von Stockert (Muskelfrau):

Für diese pfade hatten wir die Idee, ein Interview mit einer Person zu führen, die schon einige Pfadfinderlieder geschrieben hat. Nachdem ich das Interview mit Holzwurm, 64 Jahre, geführt hatte, empfand ich es allerdings als interessant, auch die Stimme einer jüngeren Liedermacherin mit einzubringen, sodass verschiedene Erfahrungen und Sichtweisen zur Sprache kommen. Gefunden habe ich Fuchs, 28 Jahre alt und aktiv im Stamm Cassiopeia.

Interview mit Holzwurm

(Frank Diener), Stamm Graue Adler, Petterweil, LV Hessen

Holzwurm, 64 Jahre alt, konnte vermutlich nichts anderes werden als Pfadfinder. Sein Vater war Umba, in hessischen Kreisen und auch darüber hinaus eine sehr prägende Figur. Auch seine Mutter ist Pfadfinderin und so war er, als Umba 1970 die Grauen Adler in Petterweil (manche kennen es vielleicht als Pfadfinderzentrum Lilienwald) gründete, von Anfang an mit dabei. 18 Jahre lang war Holzwurm Bundesdelegierter und hat unseren Bund demnach ein Stück weit mitgeprägt.
Er ist seit der ersten Stunde im BdP und war auf der berühmten Bundesversammlung, während der sich BdP und BDP voneinander abgespalten haben. Schon früh hat er in einer Band gespielt und viel Wissen über die Geschichte unseres Liedguts von seinem Vater mitbekommen. Umba hat zum Beispiel „Tanderadei – Schön singt die Nachtigall“ geschrieben.
Holzwurm war Pfadfinder mit Leib und Seele und das hörte man auch im Gespräch mit ihm. Es war inspirierend und spannend ihm zuzuhören, wie er von alten Zeiten erzählt und vieles kann ich auch gut in unsere heutige Zeit übertragen. Holzwurm ist leider vor Kurzem verstorben. Obwohl ich nur dieses eine Interview-Gespräch mit ihm geführt habe, hat mich sein Tod sehr traurig gemacht und die, die ihn gut kannten (und auch ich) denken mit Sicherheit an ihn, wenn sie das nächste Mal „Vor uns läuft ein Schweigen…“ in die Nacht singen.

Neue Briefe: Welche Lieder hast du geschrieben?

Holzwurm: Das waren Einige. Bei „Belledonne – Leise weht der Wind“ habe ich zum Beispiel mitgeschrieben, die letzte Strophe von „Die Nutte“ ist von mir und ich habe auch zwei Bundeslagerlieder geschrieben.

Neue Briefe: Wie kamst du zur Musik und was sind deine persönlichen Highlights?

Holzwurm: Mit ein paar Leuten aus dem Stamm haben wir eine Band namens „Pannenhilfe“ gegründet, die über 30 Jahre lang existierte. Gemeinsam haben wir einige Lieder ge- schrieben und auch ältere Lieder in ein moderneres Gewand gepackt. Wir haben mit der Band auf vielen Aktionen gespielt. Die Liederabende im Kloster Arnsburg (Anm.d.Red.: Früher das Sängertreffen des BdP) waren immer ein Highlight oder auch das Spielen bei der Bundesversammlung, was wir zwei, drei Mal gemacht haben. Außerdem habe ich zwei Bundeslagerlieder geschrieben, einmal „Komm mit nach Fabula“ für das BuLa Fabula 1989 und das „Lied der Energie“ für das BuLa Globalis 2001. Sehr beeindruckend war auch, dass wir auf dem Jamboree in Australien 1987/1988 als Band die Eröffnungszeremonie begleiten konnten. Wir waren der erste Act, der gespielt hat. Das kam so: Bei der Weltpfadfinderkonferenz in München hat uns der australische Commissioner spielen hören und daraufhin wurden wir zum Jamboree eingeladen. Wir haben vor 20.000 Pfadfinder*innen das Jamboree eröffnet und waren sogar live im australischen Fernsehen zu sehen. Dafür habe ich auch ein Lied geschrieben
„Bringing The World Together“. Nach dem Jamboree waren wir noch vier Wochen in Australien und haben bei verschiedenen Aktionen gespielt. Wir waren sogar die Vorband einer bekannten australischen Rockband in Melbourne.
Was ich gerne an die jüngeren Liedermacher*innen im Bund weitergeben möchte: Wir waren in Australien im Fernsehen und das hat alles hier in dem kleinen Dorf Petterweil angefangen.
Glaubt nicht, dass irgendwas nicht möglich ist, schreibt eure Lieder, bleibt dran, macht den Leuten Mut. Jeder kann das erleben, was ich mit meiner Band erlebt habe. Man muss sich einfach dahinterklemmen. Wir sind immer drangeblieben. Zuerst im Stamm, dann auf Bundesebene und plötzlich standen wir beim Jamboree in Australien auf der Bühne und der Eröffnungsact sind vier Musiker aus Petterweil. Das ist schon ein Knaller.
Wir können nur alle ermutigen, Lieder zu schreiben.

Neue Briefe: Wie sieht für dich der Prozess des Schreibens aus? Wie kommst du von der ersten Idee zur Musik und dann zum fertigen Lied?

Holzwurm: Zuerst habe ich eine Idee für das Thema und dann schreibe ich den Text. Im Laufe des Textschreibens kommt mir dann auch das Versmaß und eine Musik in den Kopf.
Manchmal ist auch zuerst nur die erste Strophe da und ein Refrain und die anderen Strophen kommen dann Stück für Stück dazu. Ich habe mich absichtlich recht früh dazu entschieden, auf Deutsch zu schreiben, weil man direkt einfach das versteht, was gesungen wird. Die deutsche Sprache klingt manchmal etwas kitschig, aber da muss man dann durch. Meine Inspiration sind oft auch emotionale Sachen, wie zum Beispiel die Geburt meines Sohnes, eine vergangene Liebschaft, oder auch ein AKW, das explodiert oder ein Flüchtlingsheim, das angegriffen wird.

Neue Briefe: Wie gehst du damit um, dass dein Lied heute anders wahrgenommen wird als früher und kritisch betrachtet wird? Zum Beispiel „Die Nutte“?

Holzwurm: Wenn ich lese, dass ein Lied kritisch betrachtet wird, dann sage ich, was ich darüber denke. Ich empfinde es bei „der Nutte“ zum Beispiel vollkommen anders. Es ist recht verbreitet. In dem Lied geht es um die schwächsten Glieder der Gesellschaft, denen man mit Respekt gegenübertreten muss. Die Recherche, von wem genau dieses Lied stammt, ist mir leider nicht gelungen. Ich habe die letzte Strophe dazugeschrieben, weil ich fand, dass sich dort der Kreis des ganzen Themas schließt.
Die Thematik mit kritischem Liedgut ist immer abhängig von der Sicht der Personen. Das Wort „Nutte“ hat nichts Diskriminierendes. Es hat erst dann etwas Diskriminierendes, wenn ich damit jemanden beleidigen will. Es ist ein Berufsstand und jeder weiß, was damit gemeint ist. In der Singerunde sind die Leute beim Singen sehr dabei, weil es auch eine schöne Melodie ist und auch durch die Art und Weise wie der Refrain aufgebaut ist. Die gegensätzliche Meinung kommt da gut zur Geltung. Und der Refrain regt die Leute zum Nachdenken an. Nachdem wir es gesungen haben, kann man immer eine Stecknadel fallen hören. Das Lied polarisiert und es bewegt etwas in einem. Aber gut, wer es singen mag, der singt’s, wer es nicht singen mag, der singt es nicht.
Für das Ändern von Liedern habe ich nur bedingt Verständnis. Zum Beispiel das Wort Zigeuner (Anm. d. Red. in der Fußnote) in „Ich kenne Europas Zonen“ erhebt die Figur des Zigeuners, gegenüber der Obrigkeit. Es gibt eine Geschichte dazu, es haben sich Leute etwas dazu überlegt. Man muss das Wort im Kontext des ganzen Liedes angucken. Im Grunde sollte sich jeder freuen, Zigeuner sein zu dürfen oder jeder kann sich mit dem Lied wie einer fühlen. Das ist das, was es ausmacht. Es sollte aussagen, dass wir alle Zigeuner sind, aber nicht im Negativen gemeint, sondern aus einem freiheitlichen Gedankengut heraus.

Neue Briefe: Wie fühlt sich das an, dass deine Lieder immer noch gesungen werden?

Holzwurm: Es fühlt sich schon toll an, wenn ich auf dem Bundeslager an einer Jurte vorbeilaufe und ich ein Lied höre, das ich mal geschrieben habe.

Neue Briefe: Wie wird ein Pfadfinderlied erfolgreich?

Holzwurm: Bei „Belledonne“ wussten wir vorher nicht, dass das so ein Erfolg wird. Die Melodie stammt von Juliane Werding (Anm.d.Red.: bekannte deutsche Pop- und Schlagersängerin). Den Text haben wir auf einer Bezirksfahrt in Frankreich, im Umfeld von Grenoble, geschrieben und das Lied haben wir dann auch mal in Arnsburg gespielt, wo wir eigentlich immer Teil genommen haben. Es war aber kein Wettstreit, sondern ein Treffen. Meistens waren so 600-800 Leute da. Dadurch, dass es von diesen Treffen auch Kassetten gab, wurden die Lieder schneller und weiter verbreitet, als wenn man es nur am Lagerfeuer gesungen hat. So konnten die Leute das auch nachspielen und lernen.
Die Melodie ist schon sehr schön und romantisch. Gleichzeitig ist es auch die Beschreibung einer Fahrt, wo man am Anfang steht, man kämpft auf den Gipfel zu gehen und dann wieder ins Alltagsleben kommt. Das hat jede*r Pfadfinder*in auf jeder Fahrt auch schonmal erlebt und sich gefragt „oh je, wird es weitergehen?“. Das hat einfach einen Nerv getroffen. Und das lyrische „Vor uns läuft ein Schweigen auf dem Weg davon“, da haben wir lange dran gearbeitet, das regt zum Nachdenken an.
Auch der Respekt vor der Natur, das ist auch ein wichtiger Punkt in dem Lied. Die ganze Stimmung auf Fahrt zu gehen, das Ziel erreichen zu wollen und etwas sehnsuchtsvoll wieder in der Heimat zu landen und dann wieder zurückzublicken, wie schön das war. Ich glaube, das ist der Thematik unserer Pfadfinder*innen geschuldet, dass sich das so verbreitet hat.

Neue Briefe: Gibt es Unterschiede zwischen einem Bundeslagerlied und einem Pfadfinderlied?

Holzwurm: Ja klar. Das Bundeslagerlied ist wesentlich allgemeiner gehalten und sollte textlich auf die Gemeinschaft abzielen und der Gemeinschaft vermitteln, zusammen zu kommen und gemeinsam so stark zu sein, dass man was verändern kann. Das auszudrücken, was der Zeitgeist gerade hat.
Bei Globalis ging es zum Beispiel auch um Energien und erneuerbare Energien. Das sollte man mit einbeziehen. Wenn ich mir vornehme, ein Bundeslagerlied zu schreiben, gucke ich mir das Motto an und was dann sinngemäß mir noch dazu einfällt. Im Grunde bleibt immer das Zusammenkommen der Gemeinschaft übrig und mit der starken Gemeinschaft können wir was bewegen. Tanzen, Freude, Singen ist auch wichtig dabei. Viele Sachen muss man auch nicht mehr ansprechen, wie dass wir gegen Krieg und gegen Rassismus sind. Das sind Sachen, die wir nicht mehr diskutieren brauchen, weil wir uns schon in unseren Pfadfinderregeln darauf festgelegt haben.
Ich habe das Gefühl, der Bund vergisst manchmal, welche Stärke und welchen Einfluss er in der Gemeinschaft hat. In der größeren Gemeinschaft des Bundes ist die Stärke viel größer, wenn wir da mehr zusammenarbeiten würden. Wir wollen den Frieden leben. Ich würde mir wünschen, dass auch das wieder mehr verbreitet wird.

Neue Briefe: Was macht ein gutes Pfadfinderlied aus?

Holzwurm: „Mädchen Männer Meister wert“ hat viel mit der mittelalterlichen Melodie zu tun. Irgendwie sind wir angetan, viel über vergangene Zeiten zu singen. Das hat eine gewisse Romantik. Ein Pfadfinderlied kann alles sein.
Ein Lied von einer Fahrt, beschreibt die Fahrt und die Stimmung. Star of the county down/Julisonnenschein wird auch gerne gesungen, das liegt an der Sehnsuchtsgeschichte. Es beschreibt die Liebe und die Traditionen. Da kommen viele Gefühle hoch. Und dann gibt es einige Lieder, die aus dem Widerstand kommen oder einen politischen Hintergrund haben. Wie zum Beispiel die Moorsoldaten, die werden immer wieder gesungen. Es gibt aber auch Lieder, die sehr kritisch gesehen werden, wie „Jerchenkow“, die aus dem Russischen kommen, die wenig hinterfragt werden. Auch bei den russischen Partisanenliedern sind oft Grauzonen vorhanden, weil einerseits zur Gewalt aufgerufen wird und weil man auch nicht mehr genau durchblicken kann, wer genau diese Leute waren. Waren das wirklich Leute, die für die Freiheit gekämpft haben, oder waren das Menschen, die irgendwelche Dörfer geplündert haben?
Es war mir schon früher sehr wichtig, genau zu wissen, woher die Lieder kommen, welchen Sinn die Lieder hatten und es nicht völlig unreflektiert zu singen.

Holzwurms Lieder findet ihr zum Nachhören auf seinem Youtube Kanal (frank Diener, @holzwurmdiener).

(Anm. d. Red. zum Z-Wort): Wir haben uns in diesem Kontext dazu entschieden, das diskriminierende Z-Wort abzudrucken, da es in dieser Unterhaltung um das Wort direkt ging und um einen persönlichen Standpunkt darüber, wie der Interviewte das Wort bewertet.

 

Interview mit Fuchs

(Andrea Ries), Stamm Cassiopeia, LV Berlin-Brandenburg und Stamm Ritter vom Loe zum Loe, LV NRW

Bis vor Kurzem war Fuchs Sippenführung im Stamm Cassiopeia und hin und wieder taucht sie auch in ihrem ursprünglichen Stamm Ritter vom Loe zum Loe auf. Außerdem arbeitet sie in der AG Kolonialismuskritik mit und hat in den letzten Jahren den Gilwellkurs geteamt.
„Ein neues Lied“ von Fuchs findet ihr zum Nachsingen in dieser pfade. (Wenn ihr euch unsicher mit dem Rhythmus seid: Das Lied findet ihr auch im Pfadi-Adventskalender!)

Neue Briefe: Welche Lieder hast du geschrieben?

Fuchs: Ich habe einige Lieder geschrieben, die ich aber nicht bei den Pfadfinder*innen singe, beim Radio Rainbow im Rahmen vom mo:ti habe ich sie z.B. beigetragen. Für unseren Stamm habe ich mit Tija (ebenfalls Stamm Cassiopeia) zusammen
„Ein neues Lied“ geschrieben, mein erstes Pfadilied. Damit sind wir dann auf dem Bula aufgetreten.

Neue Briefe: Wie sieht für dich der Prozess des Schreibens aus? Wie kommst du von der ersten Idee zur Musik und dann zum fertigen Text?

Fuchs: Ich habe meistens zuerst den Text im Kopf, wenn mich gerade ein bestimmtes Thema berührt. Wenn ich mir schon direkt grob einen Rhythmus und eine Melodie vorstelle, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wirklich ein fertiges Lied draus wird. Manchmal habe ich so einen Flow und dann schreibe ich einfach einen Text runter mit einer vagen Melodie im Hinterkopf. Bei „Ein neues Lied“ kam die finale Melodie dann hauptsächlich von Tija und am Feinschliff haben wir beide gebastelt. Einige Zeilen und Details in der Struktur haben wir auch erst verändert, nachdem wir das Lied schon einigen Leuten im Stamm gezeigt hatten

Neue Briefe: Gedankenexperiment: Kannst du dir vor- stellen, dass deine Lieder später kritisch betrachtet und eventuell geändert werden? Wie würde sich das für dich anfühlen? Was würdest du dir wünschen?

Fuchs: Bei „Ein neues Lied“ haben bereits einige Leute aus dem Stamm ihren Senf dazugegeben, z. B. dass sie den Refrain gerne mehr drin hätten oder einige Zeilen nicht verstanden wurden.
Mir war trotzdem immer wichtig, dass Tija und ich das letzte Wort haben, weil wir das Lied ja geschrieben haben. Wenn es langsam gemeinsam mit vielen anderen Liedern durch die Pfadiwelt wandern würde, wäre ich vermutlich erstmal eine Mischung aus gerührt, stolz und ungläubig. Es würde dann Teil des Liedguts und mein Verständnis davon ist, dass es langsam zum Allgemeingut werden soll. Wenn ich ein Pfadfinderlied schreibe, dann möchte ich es auch aus der Hand geben können. Das kann dann auch bedeuten, dass es sich zumindest leicht verändert. Bei einigen Zeilen, die mir besonders gut gefallen, würde es mir vermutlich einen kleinen Stich versetzen, wenn die Veränderung voll an meiner Idee vorbeigehen würde. Andererseits würde das ja auch bedeuten, dass Leute das Lied so sehr aufgenommen haben, dass sie es auch zu ihrem eigenen machen möchten. Diesen Gedanken finde ich schön und das ist für mich wichtig und zentral bei Liedgut. Sollte es Stellen geben, über die viele Leute beim Singen irgendwann doll stolpern, dann wäre es mir auch recht, wenn da über die Zeit ein bisschen was angepasst wird. So kann das Lied gemeinsam mit den Leuten, die es singen, quasi mitgehen.
Auf der anderen Seite: Bei einem Lied, das mir selbst sehr nahe ist und aus dessen Text ich sehr stark selbst spreche, wäre ich vermutlich empfindlicher. Ich würde vermutlich trotzdem nicht aktiv gegen Veränderungen angehen, sondern versuchen meine Version wach zu halten. Bei Nachdrucken würde ich mir wünschen, dass zumindest in einer Fußnote auf Veränderungen aufmerksam gemacht wird, denn es wäre ja nur die Urfassung von mir.

Neue Briefe: Wie gehst du mit kritischem Liedgut um? In welchen Fällen änderst du Wörter oder den Text?

Fuchs: Es gibt Lieder, in denen Wörter vorkommen, die z. B. einen ganz klaren rassistischen Hintergrund haben. Ich habe schon häufig z.B. in Artikeln, auf Podiumsdiskussionen, in Talkshows etc. gelesen oder gehört, dass Angehörige von Minderheiten (z.B. schwarze Menschen in Deutschland oder Sinti und Roma) sich wünschen, dass diese Wörter nicht mehr benutzt werden. Sie lösen bei diesen Menschen ganz schwere, negative Erinnerungen und Gefühle aus. Als Person, die diese Erfahrung nicht teilt, sehe ich mich nicht in der Position da irgendwie gegenanzudiskutieren. Da ist für mich die Frage wichtiger: Finde ich es vertretbar in Räumen, wo ich mir eine wohlige, sichere Atmosphäre für alle wünsche, so eine Sprache zu verwenden? Aufgrund meiner Werte fühle ich mich dann mindestens unbehaglich, eventuell schäme ich mich auch. Wenn ich auf meine eigene Erfahrung schaue: Wenn in Liedern, die sich eigentlich wunderbar zum Feiern im Lagercafé eignen, Szenen beschrieben werden, in denen Frauen ziemlich schlecht wegkommen oder eine miese Zeit haben, dann habe ich eventuell auch keine gute Zeit für die Dauer des Liedes. Je nach Stimmung und je nachdem, wie ernst ich den Text grade nehme, geht mir das nah oder ich finde es zumindest schade.
Also unterm Strich: Wenn es sich anbietet, finde ich es cool, einige Zeilen oder Wörter zu verändern. So können Lieder weiter zirkulieren und möglichst alle Anwesenden genießen das Singen und es werden weniger diskriminierende Bilder und Geschichten weitergetragen.
Es verbietet ja niemand dem*der Verfasser*in die Urfassung zu bewahren. Mir ist wichtig, dass sich die Diskussion nicht um die Frage von Verboten dreht, sondern um eine ehrliche Auseinandersetzung und unseren Umgang miteinander. Wenn mir etwas auffällt und mich etwas nervt, dann möchte ich darüber sprechen können. Aber ich atme auch häufig zunächst zweimal durch, denn perfekt und eindeutig wird es nie sein. Solange ich merke, dass es eine Auseinandersetzung mit unserem Liedgut gibt und sich etwas bewegt, dass Kritik zumindest ernst genommen wird, bin ich zufrieden und gespannt wie es weitergeht.

Neue Briefe: Wie fühlt es sich an, wenn ein Lied von dir in der großen Gruppe gesungen wird?

Fuchs: Das gab es für mich bisher ja nur bei „Ein neues Lied“. Es war ein besonderer Moment für mich, als zum ersten Mal eine große Runde von Cassiopeias dieses Lied kräftig und flüssig gesungen hat. Manchmal hatte ich richtig Gänsehaut und musste ein bisschen schlucken. Manchmal bekomme ich mit, dass jemand aus unserem Stamm einen Ohrwurm von dem Lied hat und dann denke ich, da haben wir was Schönes geschaffen und was richtig gemacht. Es kommt aber ehrlich gesagt auch mal die Kritikerin in mir hoch und ich denke: „Oh, da die Zeile, da hätten wir doch…“, aber das ist dann mittlerweile auch egal. Jetzt ist das Lied quasi Zuhause ausgezogen.

Neue Briefe: Wie wird ein Pfadfinderlied erfolgreich?

Fuchs: Gute Anlässe um Lieder zu verbreiten sind natürlich Singewettstreite. Häufig landen Lieder aber auch schnell wieder in der Versenkung, wenn nicht Text und Akkorde in Umlauf gebracht werden, z.B. durch Kursliederbücher oder Liedzettel im Stamm. Einige Lieder haben aber sowas in sich, dass ich sie mir direkt merke und sie unbedingt behalten und in meinen Liedschatz aufnehmen möchte. Dann suche ich auch aktiv danach. Ich habe es schon mehrfach erlebt, dass jemand ein Lied (z.B. von einer CD oder einem Singewettstreit) mitgebracht hat, das so gut in unser Liedgut gepasst hat, dass es sich einfach schnell verbreitete und innerhalb von wenigen Jahren überall auftauchte. Diese Wege sind irgendwie faszinierend.

Neue Briefe: Was macht ein gutes Bundeslagerlied aus?

Fuchs: Ich glaube ein Bundeslagerlied sollte zum BuLa- Thema passen und leicht lernbar sein. Ein Refrain mit Ohrwurmpotenzial ist gut, dann hat man das Lied während des Lagers im Ohr. Wenn ein Bundeslagerlied nicht direkt super erfolgreich wird und in allen Liederbüchern landet, finde ich das aber auch okay. Es sollte ja einfach an genau dieses Bundeslager erinnern und quasi den Soundtrack dazu stellen. Da ist auch Raum für ein bisschen Experimente. Je mehr Leute das Lied schnell lernen und spielen können, desto besser.

Neue Briefe: Was macht ein gutes Pfadfinderlied aus?

Fuchs: Ich glaube ein Lied, das sich gut verbreitet, muss Inhalte haben, an die Pfadfinder*innen gut anknüpfen können, z.B. das Unterwegssein in der Natur, Feiern am Feuer, Erlebnisse mit engen Freund*innen… Diese besondere Stimmung muss irgendwo drinstecken, das kann auch ins Märchenhafte, Abstrakte gehen. Außerdem sollte das Lied eine möglichst eingängige Melodie haben, die Menschen schnell lernen und mitsingen können. Die Akkorde, der Rhythmus und der Aufbau sollten nicht allzu kompliziert sein. Es gibt ein paar bekannte Lieder, die schon ziemlich kompliziert sind, weil die einfach verdammt cool sind. Aber meine Erfahrung ist, dass die einfacheren Lieder sich einfach besser und langfristiger durchsetzen. Das finde ich auch wichtig, denn bei den Pfadfinder*innen sollte man kein*e Profimusiker*in sein müssen, um einen Singeabend zu schmeißen.

0

Was denkst du?

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ausrechnen * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.