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Raus!

Raus! in Litauen

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Dass es auf einer Fahrt zwar oft lustig, aber auch manchmal beschwerlich zugehen kann, besonders wenn man seine Socken und Schuhe an einem See vergisst, erzählt Tim aus dem LV Hessen in einem Auszug aus ihrer Fahrtenchronik von ihrer Fahrt in Litauen.

21. Juli 2018, Samstag

Der Tag begann so gut. Wir wachten früh auf, geweckt vom Weckerhandy, das diesmal sogar funktionierte. Ganz ohne Frühstück bauten wir bei noch halber Dämmerung die Kothe ab, packten Sack und Pack und kletterten von unserem Seeufer die 500 Meter zum Bahnhof „Pailgis“ hinauf. Dort erwischten wir mit der deutschen Pünktlichkeit von ’25 Minuten vor der Zeit’ den Zug. Dieser war gelinde gesagt wunderschön und brachte uns im Stil der Blüte des Dieselzeitalters für 2.75€ nach Pabredé. 2.75€ für uns alle fünf, wohlgemerkt. Nimm dir da mal ein Beispiel RMV (Rhein-Main-Verkehrsverbund, Anm.d.R.). In Pabredé suchten wir den Kanuverleih (den es laut unserer Karte geben sollte). Erfolglos. Dann suchten wir Menschen, die irgendeine Sprache beherrschten, derer wir mächtig sind, um zu fragen, ob sie einen Kanuverleih in ihrer Stadt kennen. Erfolglos. Wir aßen erstmal Müsli. Dann sahen wir ein Auto mit Kanu-Anhänger um die Ecke biegen und liefen diesem nach. Natürlich war es schneller als wir, was nicht zuletzt an der Fahrweise des Kanu-Dudes lag, doch davon später mehr. Am Flussufer sahen wir einen anderen Kanu-Dude mit seinen Kunden und schwatzten ihn an. Er verstand nicht. Und wir schwatzten seinen Helfer an. Er verstand ein bisschen und verwies uns auf die Aushilfe. Die konnte Englisch und wir kamen mit dem Mann ins Geschäft. Trotz der vielen Abenteuer, die wir ab diesem Moment mit ihm erlebten, erfuhren wir den gesamten Tag nicht seinen Namen; also nannten wir ihn kurzerhand Kanu-Mike, oder kurz: Mike.

Jedenfalls fuhren wir mit ihm zur Kanu-Basis, seinem Haus in Sozionys, etwa 23 km entfernt. Dort luden wir drei Kayaks auf und unsere Rucksäcke ab. Das Nötigste und Wertvollste nahmen wir mit. Dann ging es weiter zur Einstiegsstelle in Merionys II, nicht ohne vorher Oli einzusammeln, der mindestens eine halbe Stunde vor einem Schnapsladen auf uns wartete, wo er Wasser gekauft hatte, nachdem wir ihn auf dem Weg zur Basis dort rausgeschmissen hatten. Oli möchte sich zu diesem Zwischenfall nicht äußern.

An der Einstiegsstelle zogen wir uns kurz um („Nicht gucken, ich bin nackt!“) und stiegen in die Kayaks. Sinan und Tim, Silas und Manu, Oli und… naja… Oli hatte ein großes Kayak für sich alleine. Wir paddelten über den ersten großen See und fanden wenig später im Schilf ein Schild, das uns in eben dieses lotste. Im Schilf kämpften wir ganz ordentlich und mussten feststellen, dass diese Route wohl nicht so oft befahren wird. Jochen Schweizer wäre stolz und neidisch zugleich gewesen.

Bald wurde der Fluss zu einem befahrbaren Gewässer und wir kamen gut voran. Also Oli, Tim und Sinan kamen gut voran. Manu und Silas waren sich uneins und stritten in ihrem Boot wie ein altes Ehepaar. Ihr Tempo litt ein wenig darunter. Bald und nach erneutem Kampf mit Schilf, Libellen, tausend Bremsen und einer Schlange landeten wir in einem See-Sumpf-See. Bei diesem hatte Mike uns eingebläut, bloß links zu fahren, um nicht in einer Sackgasse zu landen. Auf dem See in der sengenden Sonne waren wir uns allerdings nicht so sicher, ob wir uns noch im Sumpf („keep right!“) oder schon auf dem See („you have to go left!“) befanden. Ein wenig Streit, ratloses Kartelesen und Grübeln später entschieden wir uns, links zu fahren. Sekunden später fanden wir auch ein Schild mit einem Pfeil in dieser gottverlassenen Gegend. Sinan hackte ein wenig Schilf mit seinem Paddel platt, jeden Tag eine gute Tat, um kommenden Kayaken die Entscheidung und Orientierung zu erleichtern. Wieder durch Schilf kriechend und fluchend erreichten wir den weiteren Flussverlauf. Nach einem fixen und sehr sehr kargen Mittagsmahl, das im Wesentlichen aus zwei Äpfeln, zermatschtem Käse, feuchten Keksen und einem Brot bestand, ging es weiter.

Von jetzt an forderte der Fluss etwa drei Stunden lang unsere volle Konzentration, sowie Paddel- und Navigationskünste. Es galt unter tief hängenden, oder umgestürzten Bäumen hindurch zu lenken, Steine und Äste zu umschiffen, nicht auf Sandbänken aufzulaufen oder allgemein im wilden Slalom nicht gegen Ufer zu rammen oder zu kentern. Die größte Schwierigkeit waren allerdings die Bäume, die so quer im Fluss lagen, dass man nicht unter ihnen durch, aber auch mit viel Anlauf nicht über sie drüber kam. Zigmal mussten wir aussteigen und die Kanus ohne Besatzung über die Stämme heben. Dank Sandboden taten wenigstens die Füße nicht weh. Andererseits verbiss sich ein Blutegel in Tims Fuß. Eine tolle Erfahrung. Nach dieser Tortur freuten wir uns, als der Fluss immer breiter wurde, und wir mit müden Armen dem mit Mike verabredeten Ziel näher kamen. Wenige Meter vor der Staumauer legten wir an, riefen Mike an und Oli, Silas und Sinan gingen schonmal los in die Stadt um einzukaufen. Tim und Manu blieben und warteten.

Bald kam Mike und brachte sogar, wie verabredet, unsere Rucksäcke mit. So weit, so gut. Er hätte einfach verschwinden können und wir hätten am See gezeltet. Dummerweise hatte Mike Olis Iso und Poncho zu Hause vergessen. Und er hatte noch eine Kayak-Abholung und keine Zeit und sein Sohn hatte Geburtstag, so wie Silas an dem Tag übrigens auch. Wir schmiedeten also verzweifelte Pläne, diese Kacksituation zu retten. Die Kayakbasis und Olis Zeug waren 25-30 km entfernt. Mal eben schnell holen war also nicht drin. Kurzerhand wurde Tim ins Auto geladen und Mike fuhr mit ihm weg. Manu blieb alleine mit allen Rucksäcken am See zurück. Tim half Mike die Kanus von den anderen Menschen an einer anderen Stelle des Sees einzuladen und dann kehrten beide zurück zu Manu. Die anderen drei waren gerade vom Einkaufen zurückgekehrt und schwammen. Der neue Plan war nun, alle zu Mikes Haus zu fahren, Olis Kram zu holen und dort in der Nähe am See (also der See bei Mike) zu schlafen. Wir schmissen alles ins Auto, die nassen Jungs zogen sich was über, Mike hetzte uns („my wife is so angry“) und los ging die Fahrt im VW-Bus. Zum zweiten Mal heute.

Bald waren wir bei der Geburtstagsparty von Mikes Sohn und wir packten unsere Klamotten, Rucksäcke und die Einkäufe aus dem Auto. Mike besänftigte derweil seine Angetraute. Nach kurzer Zeit stellten wir fest, dass etwas fehlte. Olis Iso war mittlerweile da, dafür fehlten Silas Schuhe samt Socken. Die Hirne ratterten, mehrmals fiel der Satz „Das kann doch jetzt nicht sein“ und schnell stand fest: Silas hatte seine Schuhe am See vergessen. Am Kayaksee, nicht an Mikes. 25 km entfernt. Seine Schuhe tummelten sich nun mit angetrunkenen Jugendlichen am Ufer des Sees in Pabredé, die heute Stadtfest hat.

Was tun? Laufen? Unmöglich. Taxi? Im Schnapsladen fragen, ob sie Wanderschuhe haben? Wir konfrontierten Mike mit der Problematik. Dieser sagte nur, er könne jetzt nicht nochmal fahren, aber wenn jemand einen Führerschein hätte…? Tim schnürte seine Schuhe, gab Mike 10€ und schnappte sich Silas (barfuß) und Landkarte (ohne Fuß) und raste los. Dass er seinen Führerschein gar nicht dabei hatte, musste ja keiner wissen. Die anderen liefen zum nahen See, dort wollten sie schon einen Platz einrichten, schließlich war es schon nach acht Uhr. Nach der fast einstündigen Fahrt kamen Tim und Silas mit ihren Schuhen und ihren Rucksäcken zu den anderen. Am See war kein Platz wegen so blöden Fischern. Sind noch ein bisschen aus der Stadt rausgelaufen und haben inmitten von 1000000000000000 Mücken zu Abend gekocht und gegessen, sowie an einem Waldweg eine perfekte Kothe errichtet, die von innen zumindest keine Mücken hatte, was uns eine erschöpfte und ruhige Nacht bescherte.

Tim Elsner

Stamm Graue Biber, Bad Vilbel

LV Hessen

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