Hessen
Strukturen im BdP

Die Leiden des jungen Headbanger

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Samstag. 12 Uhr mittags. Woche‘markt uff de Konstabler Wach‘. Sonnenschein Eine Prise Humor umweht den Zeitschriftenkiosk.

 

Headbanger:                        Ei Gude Ritschi!!

Ritschi (leise murmelnd):   Ach du scheiße, de‘ Headbanger[1](laut) He! Headbanger, ei Gude, wie?

Headbanger:                        Geht scho, muss dir ma e G’schischtche erzähl‘n.

Ritschi:                                  Ei sischer, schieß ma los.

Headbanger:                        Also des war so gewese…

 

Es begab sich zu der Zeit, da die Krokusse die Glatze von Mutter Erde durchbrachen und in seltenen Pfützen die Mücken ihre erste Brut des anbrechenden Jahrzehnts sich selbst überließen. Mythen und Legenden ranken sich seither um den Auslöser des „Großen Leids“ auf der ganzen Welt. Viele erkrankten und nicht wenigen ging es nicht gut. Doch in einem kleinen Land im Herzen einer Bundesrepublik war dies Leiden zunächst in weiter Ferne. Die Leben der hart arbeitenden Bevölkerung waren ja nicht betroffen. Seit Monaten wurden Pläne geschmiedet, Bündnisse geschlossen, Zusammenkünfte abgehalten, fast wäre es gar zur Gründung eines neuen Arbeitskreises gekommen. All dies nur, um vielen hunderten Kindern in ihrer typischen blauen Kleidung mit dem speckigen Erkennungsmerkmal um den Nacken die Ferien mit Bildung und die Wochenenden mit Freude zu füllen. Im März noch trafen sich Hessinnen und Hessen im Taunus, um sich auszutauschen, zu lernen, zu speisen, zu musizieren. Eine Vielzahl von kleinen Kursen unter einem Dach sollte die letzte Zusammenkunft der tapferen Akteur*innen dieses Trauerspiels bleiben. An jenem Tage schon zeichnete sich der Verlauf der Geschichte ab, als einzelne Mitglieder des Teams von höherer Macht auferlegt bekamen, die eigenen vier Wände unter Androhung von Strafe tunlichst nicht zu verlassen.

Nur wenig später wurde es deutlich, Krawatten- und Kostümträger*innen unter dem fliegenden Banner eines gefiederten Raubtiers und stolzen Schnabelträgers im ganzen Staate beschlossen aufgrund der großen Gefahr, dass es wohl besser wäre, sich über Ostern nicht Topf, Flasche, Kothe, Stift, Fell und allem voran die Atemluft zu teilen. Der*Die Leser*in mit Wissensschatz über die jüngste Vergangenheit wird die Anspielung auf ausfallende Kurse in den Ferien aufgrund einer globalen Pandemie bereits erahnt haben. Die Trauer war groß, einzig das Gefühl, einen Beitrag zur Eindämmung der Seuche leisten zu können, ließ die Herzen der Hess*innen nicht verzagen. Etwa 80 Dutzend kleiner und mittelgroßer Hess*innen fieberten von nun an dem Pfingstwochenende entgegen. Mit einer Spannung nur vergleichbar mit der Ziehung der Lottozahlen wurden die Ankündigungen der politischen Oberhäupter verfolgt. Das Team klebte gemeinsam vor den Mattscheiben und dem Volksempfänger. Zumindest zeitlich, räumlich wäre dies ja zu jenen Zeiten frevelhaftes Aufbegehren gegen die Obrigkeit oder auch einfach nur egoistisch, asozial und illegal gewesen. Die Hoffnung nicht aufgebend wurde der Anmeldeschluss oder neudeutsch auch deadline (zu dt. „Totlinie“ was ein Schwachsinn) aufgeschoben, um den Stammesmitgliedern, allesamt daheim gefangen gehalten, die Möglichkeit zu geben, einen elterlich signierten Schnipsel voll datenschutzrelevanter Aneinanderreihung von Buchstaben zu Verantwortungsträger*innen des Pfingstlagers zu schicken. Viele folgten dem Aufruf. Doch es kam, wie es kommen musste. Großveranstaltungen wurden bis in den tiefen Sommer hinein untersagt. Wochenlang, und hier ist nicht die geringste Form von Übertreibung im Spiel, hielt sich niemand in der Lage, einen Wert zwischen eins und vierhundertzwanzigtausendsiebenhundertneunundvierzig zu bestimmen, der als Grenze zwischen Klein und Groß gelten sollte. Nichtsdestotrotz wurden auf Seiten der Veranstalter*innen die Chancen, dass die 80 Dutzend lärmender Freizeitolympioniken als klitzekleines Lager auf einer idyllischen Wiese am Rande Immenhausens durchgehen würden, als zu gering eingeschätzt. Und so wurde nun an Pfingsten nichts getan, als die Hände je eine drittel Minute einzuseifen, bevor Reste einer Unterhose, mit Tackerklammern und Schürsenkeln hochgekreislauft, die der eigenen Lunge entweichende Luft reinigen.

 

Und wegen all dieser Vorkommnisse hat dieser Artikel etwas gelitten. Es mag vielleicht nicht der typische Beitrag sein, den man zum Thema Strukturen im BdP erwartet, aber wer gibt denn vor, wie die Struktur eines solchen Artikels auszusehen hat? Vieles haben wir durchorganisiert, Stufen, Methoden, Ämter, Arbeitskreise und mehr geschaffen und doch bleibt der Raum für Alleingänge in letzter Sekunde. Selten scheitert etwas an strukturellen Vorgaben, wir alle schaffen es jeden Tag irgendwie doch noch gute Jugendarbeit zu machen. Das ist doch ziemlich nett. Strukturelles Improvisieren sozusagen. Wenn Du jetzt denkst, was zum Hering habe ich da nur gelesen, dann kommen wir vielleicht ja auf der nächsten Aktion ins Gespräch. Und alles nur wegen einer Vereinsmitgliederzeitschrift. Ganz schön strukturbedingt.

 

[1] Für alle Nicht-Hess*innen: Headbanger und Ritschi sind Charaktere des legendären hessischen Mundart-Comedy-Duos Badesalz. Wo sie aufeinandertreffen, ist Stussgebabbel Pflicht.

 

Von Tim Elsner
Stamm Graue Biber, Bad Vilbel, LV Hessen

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