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Wir sind politisch.

Wir sind politisch.

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Pfadfinden und Politik – die Frage, ob und wie dieses Begriffspaar zusammengehört, wird immer wieder hitzig diskutiert, und das schon lange. Schließlich gibt es den BdP in seiner heutigen Form überhaupt nur wegen eines Streits über die Frage, wie politisch Pfadfinderei sein darf und sollte: 1971 gründete sich unser Verband nach einer Abspaltung vom BDP (Bund Deutscher Pfadfinder). Dieser wurde damals von der Weltpfadfinderorganisation WOSM dafür kritisiert, zu politisch zu sein. Der BdP hingegen wollte dem unpolitischen Anspruch von WOSM wieder gerecht werden. Und tatsächlich könnte man auf den ersten Blick meinen, dass Pfadfinderei, wie wir sie leben, nicht viel mit Politik zu tun hat. Zumindest für mich fühlt sich Pfadfinden oft wie eine Parallelwelt an.

Auf Fahrt oder auf Lagern sieht ein „normaler“ Tag ganz anders aus als in der Schule, im Studium oder im Beruf: Die Art, wie wir uns mit unseren Mitpfadis Raum teilen, kommt in anderen Situationen eher selten vor. Und auch wie Kinder und Jugendliche bei uns Verantwortung übernehmen und mitbestimmen, ist in kaum einem anderen Jugendverband so üblich.

Aber gerade, weil das Pfadfinden Zeiten und Orte schafft, in denen die Regeln der Alltagswelt außer Kraft gesetzt sind, kann es enorme politische Kraft entfalten. Weil wir hier erleben können, dass es sich auch anders Leben lässt. Dass viele der Dinge, die wir sonst für selbstverständlich halten – strenge Hierarchien, ständige Erreichbarkeit, Gebundenheit an Besitz – überhaupt nicht sein müssen. Pfadfinden, das heißt für mich auch immer gelebte Utopie, also eine bessere, vermeintlich unmögliche Welt.

So unmöglich ist diese Welt aber nicht, auch nicht außerhalb der Pfadfinderei: Die Grundprinzipien, denen unser Verband folgt, sind oft gar nicht weit weg von der Gesellschaft, in der wir leben. Demokratische Strukturen gibt es schließlich an vielen Orten, und genau dorthin können wir die utopische Erfahrung des Pfadfindens mitnehmen.

Wenn wir unsere Freundeskreise, unsere Lern- und Arbeitsplätze, unsere kommunalen Strukturen mit der Freiheit gestalten, die wir auf Fahrt oder auf einem Lager spüren können, dann ist das ein politischer Akt – einer gegen den auch WOSM nichts einzuwenden haben dürfte.

Die Frage lautet für mich nicht: Ist Pfadfinden politisch? sondern: Welche Art von gelebter Utopie soll Pfadfinden sein? Und wie genau schaffen wir es, dieser Utopie auch im Alltag näherzukommen?

Tobias Kunz

Stamm Armer Konrad, Schorndorf

LV Baden-Württemberg

Wo wird bei den Pfadis Demokratie für dich sichtbar?

Pfadfinder*innen vertreten und vermitteln (zumindest versuchen wir das) bestimmte Werte, die als Ideal angesehen werden. (Z.B. das starke Gemeinschafts- und Verbundenheitsgefühl mit anderen Pfadfinder*innen, Umweltbewusstsein oder Hilfsbereitschaft und Achtsamkeit)

Pfadfinder*innen werden als offene Organisation angesehen, in der Akzeptanz eine große Rolle spielt. Auch Demokratie ist ein Idealwert, den man bei den Pfadfinder*innen finden kann, im Großen und im Kleinen. Der Bund ist demokratisch aufgebaut, d.h. Entscheidungen werden demokratisch getroffen (z.B. die Landesdelegiertenversammlung oder die Bundesversammlung) und Ämter (z.B. der Landesvorstand) demokratisch gewählt. Aber auch in kleinen Maßstäben geht es bei den Pfadfinder*innen demokratisch zu, beispielsweise bei der Spielewahl in der Meuten- oder Sippenstunde oder der Stammesratswahl.

Katharina Maurer

Stamm Diadochen, Böblingen

LV Baden-Württemberg

Politische Bildung begleitet uns im alltäglichen Stammesleben. Ein Inhalt der pädagogischen Konzeption des BdP ist, „sich eine eigene Meinung zu bilden sowie Interesse an politischen Fragen zu wecken“ (Seite 13).

Vermittelte politische Ansichten werden von Kindern und Jugendlichen ins Privatleben getragen und beeinflussen so die Meinungsbildung. Demokratie spiegelt sich bereits in den wöchentlichen Gruppenstunden wider, zum Beispiel bei der Spielauswahl. Deshalb ist es wichtig, dass den Kindern und Jugendlichen ein geschützter Rahmen geboten wird, um ihre eigene Meinung bilden zu können. Das wird gefördert durch einen offenen Austausch mit unterschiedlichen Meinungen und Lebenserfahrungen, was dazu führt, aufgeschlossen mit fremden Denkanstößen umzugehen. Nicht zwingend bedeutet das, dass wir alle dieselben Meinungen oder Ansichten haben.

Pfadfinden bietet eine Chance sich mit nicht bekannten Themenfeldern zu beschäftigen. Gerade im kindlichen und jugendlichen Alltag finden sich oft festgefahrene gesellschaftliche Systemstrukturen, die eine Beschäftigung mit aktuellen, politisch vernachlässigten Inhalten erschwert.

Nach den Erfahrungen in unserem Stamm ist politische Bildung ein wichtiger Aspekt in der Pfadfinder*innenarbeit, um den Kindern und Jugendlichen in unserer heutigen Zeit beizubringen, politische Meinungen kritisch zu hinterfragen. Die Aufklärung politischer Inhalte sollten präsent und ein Teil der Pfadfinderei sein. Dennoch wollen wir dabei die Meinung nicht in eine Richtung lenken, sondern die Meinungsbildung jedes Mitglieds fördern.

Skippy, Épery und Mimi

Stamm St. Jörg und Burg Karlsruhe, Karlsruhe

LV Baden-Württemberg

Titelfoto: Tom Roelfzen

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